Spinnen füttern
setzten uns auf die Bettkante, sie streute etwas Koks aus und machte mehrere Linien.
Haben Sie einen Geldschein dabei?, fragte sie.
Ich zog einen heraus und reichte ihn ihr, sie rollte ihn zusammen und tauchte sofort ab. Dann wischte sie sich über die Nase und sagte, wie viel wollen Sie denn dafür haben?
Ein guter Freund von mir, der ist wie ein Bruder, er braucht einen Arzt. Ich würde mich außerdem gern mit Ihnen unterhalten, falls Sie einen Moment Zeit haben.
Sie nahm die Kapsel und legte sie in eine Schublade. Den Rest kriegt der Doktor, sagte sie, worüber möchten Sie denn reden?
Die Geschichte.
Mit Geschichte kenne ich mich nicht aus, sagte sie.
Ihre Geschichte, sagte ich.
Was bin ich denn, ein Baum? Glauben Sie, ich bin so alt, dass Sie mich über die Geschichte ausfragen können?
Das Leben, sagte ich. Ihr Leben.
Mein Leben? Warum denn das? Warum wollen Sie mich über mein Leben ausfragen, wenn Sie etwas ganz anderes von mir bekommen können?
Das kann ich nicht.
Sie meinen, Sie können nicht?
Nein, also, ja, aber ich bin lieber allein.
Was wollen Sie denn nun wissen?
Erzählen Sie mir von Ihrer Wohnung.
Sie sind in meiner Wohnung, schauen Sie sich doch nur um. Sie ist winzig, ein richtiges Loch. Sie ist genauso klein wie Ihre Wohnung.
Wie haben Sie gewohnt, als Sie ein Kind waren?
Ach so. Ich weiß nicht mehr. Nichts Besonderes. Sie wissen ja, wie das bei den Kommunisten war.
Wo genau sind Sie aufgewachsen?
Warum wollen Sie das wissen? Würde es Ihnen etwas nützen, wenn ich das Dorf nennen würde?
Vielleicht. Ich bin in einem Zirkus aufgewachsen, wir sind durch viele Länder und Orte gekommen.
Das ist ja lustig, sagte sie. Der Ort, wo ich aufgewachsen bin, hieß nämlich bei den Leuten einfach der Zirkus.
Wusste ich’s doch, dass wir etwas gemeinsam haben!, rief ich freudig. Welche Farbe hatten Ihre Zelte?
Also, nein, so ein Zirkus war das nicht. Der eigentliche Name war Hungerzirkus.
Ah, davon habe ich einmal gehört, ein rumänischer Zauberer hat mir davon erzählt, der manchmal als Dracula auftrat.
Dracula kommt aber aus Transsilvanien, sagte sie. Ich komme aus Bukarest. Was haben Sie über unsere Stadt gehört?
Nur dass dort ein Diktator einen riesigen Regierungskomplex gebaut hat mit einem großen Palast und dass die Menschen im ganzen Land deswegen Hunger litten.
Genau so war es. Und? Was wollen Sie sonst noch wissen?
Ich möchte nur, dass der Herr Doktor sein Geschenk erhält. Und dass Sie glücklich sind.
Warum interessieren Sie sich dafür, ob ich glücklich bin?
Zahlt er Ihnen etwas?
Wofür soll er mich bezahlen?, rief sie entrüstet.
Reicht es für das Essen und die Miete?, fragte ich.
Raus jetzt, Sie sind ja verrückt!, schrie sie. Raus mit Ihnen, sonst rufe ich die Polizei. Sie sind ein Verrückter! Ein Verrückter!, kreischte sie, schob mich aus der Wohnung und schlug mir die Tür vor der Nase zu.
Ich ging, vertrieben, verletzt und hungrig, wie ich war.
Tempel
Ich kam nach Hause und zwängte mich am Geschichtsregal vorbei in die Küche. Dort bereitete ich mir ein kleines Sandwich mit ein wenig Olivenöl und Ziegenkäse zu. Nach dem Essen legte ich mich auf den Teppich auf den Boden. Transsilvanien schien mir in diesem Moment zu blutig, zu morbide, es gab dort einfach zu viele Vampirzähne. Außerdem war es hell, die Vampire schliefen noch. Und so überlegte ich, welchen Augenblick der Geschichte ich mir in Erinnerung rufen könnte. Wir sprechenden Affen haben so viel Dreck und Gewalt verbreitet, seit wir von den Bäumen gestiegen sind und aus dem Bananenparadies verstoßen wurden, da fällt es schwer, mir die eine Séance der Lust, des Horrors, des Blutvergießens auszusuchen, die ich heute rückgängig machen möchte. Welche Ebene, welcher Berg und welcher Fluss soll heute mein Schlachtfeld sein, welche Geschichte soll ich beschwören, um die Evolution voranzutreiben, die einst aus den Bakterien einen sanfteren, tanzenden Affen machen wird. Ich legte mich hin und sah einen roten, tongesäumten Fluss, der mich durch Zedernwälder bis in die alte Levante führte, wo für jede Jungfrau, die den Tempel des Baal verließe, nachdem sie den Göttern ihre Lippen, Brüste und die verschiedensten Körperöffnungen dargeboten hatte, tausend andere geboren würden, um ihren Platz einzunehmen und das Land der Kanaaniter zu bevölkern. Ich, der schöne Adonis, liege halb nackt auf meinem Teppich, ich bin kein Grieche, wie die Europäer immer behauptet haben, und das
Weitere Kostenlose Bücher