Spinnen füttern
ein blaues Auge!, schrie sie noch. Ich hab morgen eine Signierstunde! Sie knallte die Badezimmertür zu.
Komm, wir verschwinden, sagte der Mann. Er zog seine Hose an und sammelte die restliche Kleidung auf, die Schuhe und die vollgesabberten Socken. Die Schuhe zog er laut lachend im Flur an. Als wir wieder im Auto saßen, sagte er: Mann, war das großartig. Gute Arbeit, Fly, wirklich. Großartig! Fast wie in einem Godard-Film! Absurd und doch philosophisch … Und du, Fly, du zuckst nicht mal mit der Wimper. Du bist körperlich voll da. Du zögerst nicht und denkst nicht nach. Du setzt das einfach um, von innen heraus. Komisch, genau darüber habe ich mich vor ein paar Tagen mit einigen Freunden unterhalten, unsere Autorin war auch dabei. Wir sprachen erst über Schriftsteller, dann über das Schreiben, den Akt des Schreibens. Ich musste an eine Szene aus Godards Vivre sa vie denken. Kennen Sie den Film?
Ich besitze keinen Fernseher.
Was ist das für ein eingebildeter Quatsch? Natürlich brauchen Sie einen Fernseher. Alles dreht sich heute um das Visuelle und das Populäre. Wie auch immer, in diesem Film gibt es eine schöne, junge, intelligente Frau, die von einem Zuhälter verführt und zu einer Prostituierten gemacht wird. In der Szene, die ich meine, trifft sie in einem Pariser Café einen Philosophen. Der alte Mann erzählt ihr die Geschichte eines Gangsters, der eine Bombe in einen Wagen gelegt hat und sich gerade aus dem Staub machen will. Doch dann beginnt er, über das Gehen nachzudenken, er versucht, den Bewegungsablauf zu verstehen und die Übermittlungskraft, die es uns erlaubt, unsere Beine zu bewegen. Und allein durch diesen Akt des Denkens über das Gehen, über die Abläufe, wird er gelähmt, er kann sich nicht mehr rühren.
Und was ist mit der Bombe?, fragte ich.
Es spielt an dieser Stelle keine Rolle, ob er lebt oder stirbt. Es ist uns egal, er ist schließlich ein Gangster. Ich will den Mann gar nicht verurteilen. Ich will damit nur sagen, dass ich glaube, dass auch aus dir noch ein Schriftsteller werden kann. Vielleicht liege ich da falsch, Fly, aber ich glaube, dass du, anders als bei deinem Kampfeinsatz hier, beim Schreiben zu viel über das Schreiben nachgedacht hast. Genau das ist auch unserer Autorin passiert. In letzter Zeit hat sie sich auf die Fahnen geschrieben, die französische Kultur zu verklären. Ha! Vermutlich kompensiert sie damit ihre eigene spießige, provinzielle Herkunft. Erst kürzlich haben wir heftig über die Verstrickung der Kultur und der kulturellen Leitfiguren mit dem Projekt des Imperialismus gestritten. Plötzlich redete sie darüber, wie großartig Henry Miller sei, es hatte mit dem Thema nichts zu tun. Ich finde übrigens, dass Miller überschätzt wird. Neunzig Prozent seiner Texte sind völlig unverständlich, und die Tatsache, dass er das Wort Fotze wie ein Mantra wiederholt, macht ihn noch lange nicht zum Helden der sexuellen Revolution. Das wollte sie natürlich nicht hören, und sie schlug mit der Faust auf den Tisch, beinahe wäre ihr Weinglas umgekippt. Sie meint nämlich, dass sie selbst zur amerikanischen sexuellen Revolution beigetragen hat wie Henry Miller. Das ist Quatsch. Die einzige Revolution, die in jenem Land überhaupt etwas bedeutet hat, und das gilt bis heute, ist die Befreiung der Schwarzen aus der Sklaverei. Alles andere sind nur Ausläufer der europäischen Aufklärung. Man muss das aber gar nicht so philosophisch sehen. Angenommen, ihre Weigerung vorhin, mir die Fesseln zu lösen, hatte etwas mit unserem Streit zu tun. Natürlich nur unbewusst, Mordimpulse sind schließlich ein gewichtiger Teil des Unbewussten. Sie säuft ja auch wieder und hat sich außerdem der christlichen Erneuerungsbewegung angeschlossen und der Bondage-Kultur, das ist gar nicht unbedingt ein Widerspruch, na ja, wer’s glaubt, wird selig. Auf jeden Fall bin ich froh, dass Sie nicht zu spät gekommen sind. Sie sind mein Fahrer, das ist jetzt so, ich hoffe, dass Sie beim Fahren nicht zu viel über das Fahren nachdenken, sonst komme ich nämlich nie nach Hause. Warum auf einmal so nachdenklich, mein lieber Fly?
Ja, sagte ich, die Domina geht mir nicht aus dem Sinn, die Autorin, die wir im Badezimmer haben liegen lassen. Sie hat Blut gespuckt.
Das wird schon wieder, machen Sie sich keine Gedanken. Ich rufe sie später an, dann machen wir ein, zwei Witze darüber, und alles ist gut. Ein bisschen Aufregung tut ihrer Kreativität vielleicht ganz gut. Sie versucht seit
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