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Spinnen füttern

Spinnen füttern

Titel: Spinnen füttern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rawi Hage
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zehn oder fünfzehn Jahren vergeblich, etwas Größeres zu schreiben. Fahren Sie mich jetzt bitte nach Hause. So viel Aufregung an einem Tag, das haut den stärksten Mann um.
    Darf ich Ihnen eine Frage stellen?, sagte ich.
    Bitte.
    Die Dame hat Sie beim Vornamen genannt. Ist das Ihr echter Name? Gunther?
    Da wären wir also. Ich verabschiede mich. Bye-bye!
    Duell
    Für diese Nacht hatte ich genug, ich wollte nach Hause, ich wollte das gemütliche Licht anmachen und mir einen Drink genehmigen und den Schlachten beiwohnen, in denen sich das Leben erschöpft. Auf dem Weg begegneten mir eine Menge kostümierte Karnevalisten, Männer in Frauenkleidern und umgekehrt, mehrere Einsteins, Tiermasken, halb nackte Bestien und andere schwer definierbare Wesen, viele Winker, einige schlugen auf meine Motorhaube. Ich schaltete das Dachschild aus, duckte mich hinter die Scheiben und gestikulierte, um den Feiernden zu erklären, dass ich selbst am glorreichen Schwärmen durch die Menschheitsgeschichte teilzunehmen gedachte. Ich hatte nur mehr den Wunsch, zu meinem Teppich zurückzukehren, um die Sonne aufgehen zu lassen, das Blut von Märtyrern und Insekten zu beschwören, vergorene Getränke und die fliegenden Teppiche der ältesten Paläste. Ich sehnte mich danach, endlich auf meinem Boden zu liegen und mir Präsident Lincoln in Erinnerung zu rufen, das Duell, das ihn beinahe das Leben gekostet hätte. Im letzten Moment wurde es abgesagt, wer weiß, was passiert wäre, wenn …
    Auf dem Weg fiel mir eine wahre Geschichte ein, die ich einmal im Café Bolero gehört hatte. Es ging um Nummer 72, genannt Mani (die »Sex-Spinne« in meinem persönlichen Verzeichnis), und um Nummer 89, den ich erst kürzlich Klemm-Spinne getauft hatte. An einem Taxistand hatte sich eine ganze Gruppe von gelangweilten Fahrern versammelt, die Geschäfte liefen schlecht, die Behörde hatte gerade die Preise erhöht. Ob aus Protest oder Sparsamkeit: Die Leute zogen in jener Woche andere Transportmittel vor. Es war immer das Gleiche, es dauerte eine Weile, bis sich die Leute an die neuen Preise gewöhnt hatten. Erst wenn sie die alten vergessen hatten, fuhren sie auch wieder Taxi. Wie dem auch sei, eine elegant gekleidete Frau kam vorbei, sah die Nummer 72, dann die Nummer 89, so ging es mehrmals hin und her, sie zögerte und lächelte verwirrt, offenbar fiel es ihr äußerst schwer, sich zu entscheiden. Nummer 89 sagte, ihr fehle wohl eine gewisse Entscheidungsfreude, oder sie sympathisiere mit dem Taxiboykott. Nein, sie ist scharf auf einen Fahrer, antwortete die Sex-Spinne.
    Da machte sich Nummer 89 über die Sex-Spinne lustig, der sich nun, um sein Gesicht zu wahren, vor den versammelten Fahrern auf eine Wette einließ: Wenn es mir gelingt, sie noch heute abzuschleppen und flachzulegen, dann darf ich dich ficken. Und wenn es mir nicht gelingt, dann darfst du mich ficken.
    Ich fick keine Männer, sagte die Klemm-Spinne, da steh ich nicht drauf.
    Na gut, dann machen wir es so, verkündete die Sex-Spinne: Wenn ich gewinne, ficke ich dich, und wenn du gewinnst, kriegst du tausend Dollar von mir. Nummer 89 schlug ein, die Sex-Spinne machte sich an die Frau heran. Er setzte sein süßestes Lächeln auf und sah sie von unten herauf an. Er sprach sie an, lächelte und zeigte auf seinen Wagen. Die Dame durfte vorn einsteigen. Bevor er losfuhr, winkte er seinen staunenden Kollegen. Die Klemm-Spinne sagte: Das heißt noch lange nicht, dass er die Wette gewonnen hat. Er muss sie rumkriegen, darum geht es.
    Zwei Stunden später überredete die Sex-Spinne den Funker, folgende Nachricht über den Taxifunk zu verbreiten: Zeugen werden gesucht für ein historisches Ereignis, bei dem Nummer 89 in eine neue Welt des Abenteuers und des Glücks eingeführt wird. Wer dabei sein möchte, finde sich in fünfzehn Minuten im Motel 9 an der Vignard Street ein.
    Zwanzig Wagen warteten auf dem Parkplatz des Motels, als die Sex-Spinne aus dem Zimmer trat, Hand in Hand mit der Frau. Damit hatte Nummer 89 einfach nicht gerechnet, und ihm brach der Schweiß aus. Die Fahrer hupten und erklärten Mani, die Nummer 72, zum Sieger und Bräutigam.
    Zwei Wochen später stellte sich heraus, dass die Frau eine Hure war.
    Niemand kann der Sex-Spinne das Wasser reichen, wenn es um Abenteuer und Liebe geht. Er geht dabei ganz fair vor und diskriminiert niemanden. Er liebt, wie er gern öffentlich verkündet, alle Länder und Völker, alle Farben und Formen.
    Einmal saßen wir im Café

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