Spinnenfalle
ja? Hast du gehabt russische Freundin, ja? War meine Mutter, Olga. War ein bisschen älter als du, aber war große Liebe. Ja. Hat sie aufgeschrieben. Habt ihr gemacht Kind - Kind bin ich!«
Noch nie hatte ich meine Eltern so perplex gesehen - beide saßen mit offenem Mund da. Kris und Kathi sahen angstvoll von einem zum andern. Daniel schüttelte fassungslos den Kopf.
»Das ist doch Schwachsinn«, sagte Papa dann müde. »Ich hatte nie eine Freundin, die Olga hieß. Als ich nach Moskau fuhr, war ich schon mit Sabine zusammen, noch nicht sehr lange, aber wir wollten heiraten. Du irrst dich, Ljuba! Das bildest du dir bloß ein!«
»Nein, bilde ich mir gar nicht ein!«, schrie sie. »Warte, ich habe Beweis!«
Mit triumphierender Geste legte sie vor Papa ein Foto auf den Tisch.
Das war bestimmt das Foto, das sie damals mit Mamas Album verglichen hatte!
»Das bist du!« Ljubas Stimme überschlug sich fast. »Das bist du und meine Mutter Olga! Gib zu! Ich bin deine Tochter! Ich weiß genau! Habe ich vom ersten Moment an gefühlt, dass du mein Vater bist!«
Papa zog die Lesebrille aus seiner Hemdtasche und betrachtete das Foto, ohne es anzufassen. Dann nahm er es hoch und studierte es noch eingehender.
Wir hielten alle den Atem an, mein Herz klopfte wie verrückt.
Papa hatte mit einer russischen Frau ein Kind?
Das war doch nicht möglich! Das ging doch nicht! Mein Vater und …
Ljuba sollte seine Tochter sein?
Meine Mutter war aufgestanden und hinter Papa getreten. Sie beugte sich ebenfalls über das Foto und umklammerte Papas linke Schulter.
Dann richtete sie sich auf. Ihr Gesicht war ausdruckslos. Sie drückte Papas Schulter und sagte leise: »Du musst es ihr sagen, Bernhard.«
Mein Vater legte das Foto hin, nahm die Brille ab, steckte sie wieder zurück und fuhr sich mit der Hand über die Augen.
Ich dachte, ich müsste vor Spannung sterben! Ich kriegte kaum noch Luft!
»Was ist denn?«, fragte Daniel heiser. »Wir wollen auch gern wissen, was los ist!«
Papa sah ihn an und der Hauch eines Lächelns huschte über sein Gesicht.
»Ich bin nicht der Mann auf dem Foto«, sagte er und drehte sich zu Ljuba um. »Das ist mein Cousin Jochen, der auch diesen Studienaustausch mitgemacht hat. Es hat immer geheißen, wir sähen uns sehr ähnlich. Das fanden jedenfalls unsere Eltern. Sein Vater war der Bruder von meinem Vater.«
Onkel Jochen! Der mir seine DVDs vermacht hatte!
»Jochen?«, wiederholte Ljuba leise. »Stand aber da im Buch Barnie. Wie Bernhard. Wie kurze Form von Bernhard.«
Papa schüttelte den Kopf. »Nein, du irrst dich. Barnie kommt nicht von Bernhard. Das war Jochens Spitzname. Er war ein Fan der Familie Feuerstein, und in der Serie gab es einen Barnie Geröllheimer. Der Name blieb an Jochen kleben. Offensichtlich hat deine Mutter ihn gekannt.«
»Der Mann auf meinem Foto«, fragte Ljuba leise, »das ist dieser Jochen?«
»Ja, das war mein Cousin Jochen. Und ja - er hatte damals in Moskau eine Freundin. Ich weiß aber nicht mehr, wie die hieß - das ist schon so lange her. Möglich, dass sie Olga hieß. Aber wer kann das heute noch wissen? Was beweist schon ein Foto? Doch nur, dass sich die beiden gekannt haben. Ob da mehr war, werden wir nie erfahren. Damit musst du dich abfinden. Nein, meine Liebe«, er holte tief Luft, »es tut mir leid für dich, dass du dich so lange in einem Irrtum befunden hast, aber ich bin höchstens dein Onkel zweiten Grades. Und auch das muss ich sehr bezweifeln. Jochen war nämlich schwul, er liebte Männer. Leider hat er sich dann an HIV infiziert, und weil es damals die neuen Medikamente noch nicht gab, ist er schließlich daran gestorben.« Er hielt kurz inne und schluckte, dann sah er Ljuba direkt ins Gesicht und sagte langsam und deutlich: »Meine älteste Tochter heißt Alexandra.« Dann sah er mich an, und mich durchflutete eine solche Riesen-Liebeswelle, dass ich kurz die Augen zumachen musste. »Ich kann verstehen, dass du verbittert bist, weil sich dein Vater nie um dich gekümmert hat, aber ich bezweifle, dass Jochen von deiner Existenz gewusst hat. Er war zwar ein ziemlich leichtsinniger Knabe, aber vor so einer Verantwortung hätte er sich nie gedrückt.«
Ljuba stand immer noch da, die Tränen strömten über ihre Wangen und sie griff blindlings wieder nach ihrer Serviette.
»Dann - dann - dann bist du nicht …«, brachte sie zwischen den Schluchzern hervor.
Papa schüttelte den Kopf. »Nein. Nein, ich bin nicht dein Vater. Der Mann auf dem
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