Spinnenkuss: Elemental Assassin 1 (German Edition)
trank ich den Schnaps in einem Zug leer, ging hinein und stolperte in Richtung Bett.
In den nächsten Tagen tat ich alles, was ein Tourist in Key West zu tun pflegte. Ich beobachtete den Sonnenuntergang am Mallory Square. Besuchte Hemingways Haus und Museum. Machte ein paar Tauchausflüge. Kaufte mir ein paar billige Muschelketten und trank tropische Drinks, bis ich schwor, in meinem Leben keine Ananas, Mango oder Limetten mehr anzurühren.
Sobald ich in alle Touristenfallen gegangen war, hing ich am Strand herum, las und bewunderte die durchtrainierten Körper der Rettungsschwimmer und der Beachboys. Fletcher hatte recht gehabt: Es gab in Key West jede Menge davon zu sehen. Mit einem von ihnen, Renaldo, kam ich ins Gespräch. Er finanzierte sich sein Studium mit der Arbeit in meinem Hotel. Renaldo machte mir deutlich, dass er gerne bereit war, ein paar Stunden mit heißem schweißtreibendem, bedeutungslosem Sex zu verbringen – und das sogar, ohne hinterher ein Trinkgeld zu erwarten. Aber seine Augen waren braun, nicht goldfarben, deshalb schickte ich ihn weg.
Wenn ich nicht gerade flirtete, verbrachte ich viel Zeit damit, auf den Horizont zu starren, Cocktails zu trinken und darüber nachzudenken, was ich tun wollte, wenn ich nach Ashland zurückkehrte. Denn ich wollte nicht länger als Auftragsmörderin arbeiten. Ich kannte meine Stärken, meine Fähigkeiten und meine Schwächen. Als Spinne hatte ich nichts mehr zu beweisen, weder mir selbst noch irgendwem anderen. Und ohne Fletcher wäre es einfach nicht dasselbe. Niemand würde spätnachts im Pork Pit auf mich warten. Niemand würde mich fragen, ob ich verletzt oder wie es gelaufen war.
Niemanden würde es interessieren.
Und noch wichtiger: Der alte Mann hatte sich gewünscht, dass ich mich zur Ruhe setzte. Das war sein letzter Wunsch gewesen, und ich würde ihn erfüllen, selbst wenn ich keine Ahnung hatte, was ich danach mit mir anfangen sollte. Aber es war Zeit, meine Fähigkeiten für etwas anderes einzusetzen. Was das sein sollte, wusste ich noch nicht.
Und doch stellte ich fest, dass ich seltsam begierig darauf war, es herauszufinden.
Zwei Wochen später kehrte ich nach Ashland zurück, erholt, regeneriert und immer noch mit leichtem Sonnenbrand und langsam abklingendem Kater von all den Cocktails. Ich fuhr direkt zum Pork Pit, wo die anderen auf mich warteten, um mich willkommen zu heißen. Es war spät, und die Nacht hatte Ashland bereits umfangen. Dunkelheit lag über den Straßen, abgesehen von dem Schwein, das in neonfarbenem Blau und Pink über dem Eingang zum Pork Pit blinkte. Ich stand im Schatten neben der Tür und sah durch das Fenster ins Innere. Finn, Jo-Jo und Sophia hatten sich bereits am Tresen versammelt. Finn nippte an einer Tasse Malzkaffee. Den warmen beruhigenden Duft konnte ich sogar hier auf der Straße riechen. Sophia schob einen Mopp über den Boden. Jo-Jo eilte hin und her, füllte Finns Tasse auf, wischte Tische ab und sprach mit ihrer Schwester.
Nicht die Familie, mit der ich mein Leben begonnen hatte, aber trotzdem eine Familie. Eine, die ich um jeden Preis beschützen würde. Ich zog die Eingangstür auf. Die Glocke klingelte, und ich ging hinein.
Alle hatten sich in meine Richtung gedreht, und einen Moment später erstickte ich fast in Umarmungen, Schulterklopfen und Fragen über meine Reise. Besonders Sophia umarmte mich so fest, dass sie mir fast den Rücken ausrenkte. Trotzdem war es ein gutes Gefühl.
Während die anderen auf mich einredeten, schweifte mein Blick über das Innere des Restaurants. Die Tür, die Registrierkasse, die Hocker. Alles, was in der Nacht von Fletchers Tod zerstört worden war, war ersetzt worden. Ein mit roten Flecken übersäter heller Gegenstand neben der Registrierkasse erregte meine Aufmerksamkeit, und erst nach ein paar Sekunden verstand ich, was es war – die Ausgabe von Eigentlich hätte es ein herrlicher Sommertag werden können von Fletcher. Sophia musste das Buch aus dem Chaos gerettet haben. Trotzdem wirkte das Pork Pit ohne den alten Mann irgendwie kleiner, leerer als vorher, trotz der Anwesenheit der anderen. Ich fragte mich, ob es sich wohl von jetzt an für mich immer so anfühlen würde.
Aber jetzt war nicht die richtige Zeit für Melancholie, also drängte ich meine finsteren Gedanken zurück und erzählte den anderen alles über meinen Urlaub. Jo-Jo interessierte sich besonders für meine Geschichten über braungebrannte Beachboys. Irgendwann setzten wir uns zu
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