Spion der Liebe
ihre Angst verbergen können? Zum Glück ließ er sich nicht blicken. Langsam streckte sie ihre steifen Glieder. Der Sessel war zwar weich und bequem, aber er hatte ihr nicht den Komfort eines Betts geboten.
Inzwischen rasierte Franco, Massenas Bursche, seinen Herrn und informierte ihn über die neuesten Klatschgeschichten. Hin und wieder drang das Gelächter der Männer durch die geschlossene Tür zu Serena hinüber.
»Sylvie hat mir erzählt, die Mademoiselle habe sich gestern abend geweigert, ins Bett zu gehen.«
»Ja, das weiß ich«, erwiderte Massena. »Schicken Sie ihr heute ein paar Juwelen.«
»Die Gräfin hat Smaragde bevorzugt.«
»Tatsächlich? Nun, dann lassen Sie dieser neuen jungen Dame auch Smaragde bringen. Sie sieht wie Natalie aus, nicht wahr?« Die Erinnerung an die Gräfin Gontschanka erhellte Massenas strenge Miene.
»Für so was hat Colonel Solignac den richtigen Blick.«
»Wenn ich bloß Zeit fände, meine Kriegsbeute zu genießen …« Massena lachte leise.
»Gewiß ist es nicht Ihre Schuld, daß sich das Heer in diesem desolaten Zustand befindet«, murrte Franco, der dem General seit fünfzehn Jahren in unwandelbarer Treue diente. »Man erwartet zuviel von Ihnen.«
»Wie üblich, Franco. Nachdem ich alles auf Vordermann gebracht habe, höre ich neue Beschwerden.«
»Undankbare Schweine!«
»Das wissen wir beide nur zu gut.« Feixend schlüpfte Massena in das frische Hemd, das der Bursche ihm hinhielt. »Aber wir müssen die Politik des Überlebens verfolgen.«
»Pah! Als wäre Bonaparte Erster Konsul geworden, hätten Sie seine Kriege nicht gewonnen!«
»Hätten Sie nicht so gut für mich gesorgt, Franco, wär’s mir wohl kaum gelungen.«
»General, es war mir stets eine Ehre«, beteuerte Franco und rückte die Krawatte seines Herrn zurecht.
»Heute abend werde ich versuchen, mit der jungen Dame zu dinieren. Kommen Sie um acht in mein Büro und erinnern Sie mich daran.«
»Es sei denn, heute nachmittag treffen hundert weitere Depeschen ein«, seufzte Franco. »Sie sollten etwas mehr schlafen, General.«
»Ja, gewiß«, stimmte Massena mechanisch zu, in Gedanken bereits bei den Pflichten, die vorrangig erledigt werden mußten. »Servieren Sie mir den Kaffee im Büro«, fügte er hinzu und ergriff seinen Uniformrock. »Sehr schwarz und sehr süß. Zuerst muß ich den Monsignore empfangen, und der bereitet mir regelmäßig Kopfschmerzen.«
»Zum Teufel mit dem alten Sünder!« Durch und durch republikanisch gesinnt, hielt Franco den Klerus für entbehrlich.
»Manchmal amüsieren mich seine dreisten Lügen«, bemerkte Massena und schlüpfte in seinen Rock. »Aber die französische Schatzkammer braucht das Geld, das er angeblich nicht besitzt.«
Nicht zum erstenmal wurde er mit dem Problem konfrontiert, das Heer zu finanzieren. Die französische Konsulatsregierung hatte von ihren Vorgängern, dem Directoire und dem Konvent, das Prinzip übernommen, die Soldaten müßten auf Kosten besetzter feindlicher Gebiete ernährt, gekleidet und bezahlt werden. Genaugenommen waren die von Massenas Armee okkupierten norditalienischen Provinzen kein Feindesland, sondern neutrale Staaten, deren Bewohner die französische Regierung versöhnlich stimmen und in ihr politisches System einbeziehen wollte, um eine starke Phalanx gegen Österreich zu bilden. Doch dieses Ziel ließ sich kaum erreichen, wenn man die regionalen Regierungen ausbeutete.
Napoleon hatte versprochen, die erzwungenen Abgaben zurückzuerstatten. Aber Massena wußte, daß dies niemals geschehen würde, und so konzentrierte er sich auf jene Leute, die ihre Verluste am ehesten verschmerzen konnten.
Fast den ganzen Vormittag verbrachte er mit einheimischen Regierungsbeamten, die sich entschieden weigerten, die geforderten Summen herauszurücken. Am Nachmittag führte er eine ermüdende, hitzige Debatte mit den österreichischen Kommandanten über die Demarkationslinie zwischen Frankreich und Österreich, die nach dem Vertrag von Alessandria entstehen sollte. Mit diesem Abkommen war der Feldzug beendet worden, aber die Pariser und die Wiener Regierung mußten es noch ratifizieren. Infolge der vagen Formulierungen des Vertrags würden Napoleons Repräsentant Berthier und Zach, der österreichische Stabschef, noch mehrere Wochen brauchen, um sich zu einigen.
Nachdem sich die Österreicher verabschiedet hatten, übergab man Massena ein Dutzend neuer Depeschen. Als er das nächste Mal von seinem Schreibtisch aufblickte, führte
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