Spion der Liebe
Seidenschleifen an den gerüschten Ärmeln zurecht, als wollte sie sich für einen Kampf wappnen. Ich bin nicht die erste Frau, mit der sich die Eroberer vergnügen, sagte sie sich. 12 Und sie würde auch nicht die letzte sein.
Was mußte man tun, um die Gunst eines Oberbefehlshabers zu erringen?
Offenbar durfte man nicht die üblichen femininen Tricks anwenden. Das fand sie sehr bald heraus, nachdem Colonel Solignac sie am nächsten Tag in Andrea Massenas Hauptquartier geführt hatte. Der General blickte von seinem Schreibtisch auf und musterte sie sekundenlang, dann beugte er sich wieder über seine Papiere. »Bringen Sie sie in meine Wohnung, Colonel.«
Noch bevor sie das Büro verließ, begann er seinen beiden Sekretären Briefe zu diktieren.
In seiner Suite im Palazzo Mombello wurde sie von einer Dienerin begrüßt, die ihr in einem eleganten Schlafzimmer mehrere Schränke voller Damenkleider zeigte. Dann knickste sie und versprach, der Signorina eine Erfrischung zu bringen. »Bitte, fühlen Sie sich wie zu Hause.«
Serena entnahm dem Tonfall des Mädchens, daß sie nicht die erste Dame war, die hier einquartiert wurde. Unbehaglich dachte sie an Massenas eisblaue Augen. Obwohl er noch nicht alt war, hatte er graues Haar. Außerdem waren seine eingefallenen Wangen ein Zeugnis der Hungersnot während der Belagerung Genuas. Zu Serenas Verwunderung trug der Mann, der Italien beherrschte, eine schmucklose blaue Uniform. In diesem verschwenderisch ausgestatteten Palazzo wirkte er fehl am Platz.
Bald kehrte die Dienerin zurück, schenkte Tee ein und packte die wenigen Sachen aus, die ein Soldat aus Serenas Kutsche ins Schlafzimmer gebracht hatte. »Der General ist sehr freundlich, Signorina«, versicherte sie und legte die Bücher auf einen kleinen Tisch neben dem Lehnstuhl, in dem Serena Platz genommen hatte.
»Das freut mich«, erwiderte sie in neutralem Ton. Sollte das Mädchen ihr dienen oder sie bewachen?
»Und er sorgt gut für seine Offiziere.«
So wie sie für ihn, dachte Serena. Wie viele Offiziere nehmen Frauen gefangen, um ihn zu beglücken? »Wie nett …«
»Noch etwas Tee?«
»Nein, danke.«
»Vielleicht ein Stück Kuchen?«
»Danke, nein.«
»Möchten Sie etwas Bequemeres anziehen? Der General diniert ziemlich spät. Also werden Sie lange warten müssen.«
»Nein, ich fühle mich sehr wohl.« Serena hatte nicht die Absicht, die Rolle der Kurtisane zu spielen, solange sie es verhindern konnte.
»Gut, Signorina.« Das Mädchen schaute sich im Raum um und stellte fest, daß alles in bester Ordnung war. »Läuten Sie nach mir, wenn Sie mich brauchen.«
Drei entnervende Stunden lang wartete Serena auf den General und überlegte, welche Argumente sie Vorbringen sollte, um ihre Freilassung zu erbitten. Aber er erschien nicht. Schließlich saß sie allein an der großen Tafel im Speiseraum, umgeben von vergoldeten Spiegeln und zahllosen Kerzen. Das Essen war exzellent, die Bedienung untadelig.
Nach der Mahlzeit versuchte sie zu lesen. Um zehn Uhr lehnte sie das Angebot des Dienstmädchens ab, ihr beim Auskleiden zu helfen. Freundlich erklärte sie, vorerst würde sie nicht ins Bett gehen und sich lieber noch eine Weile mit ihrer Lektüre befassen. Der Gedanke, im Schlaf von einem fremden Mann überrascht zu werden, war grauenvoll.
Doch dann schlief sie im Sessel ein, von flackernden Kerzen umgeben.
Wie ein Kind, das sich im Dunkeln fürchtet, dachte der General, als er gegen Mitternacht in seine Suite kam, um ein Dokument zu holen. Nachdenklich betrachtete er Solignacs hübsches Geschenk. Schade, daß ich meine dringende Korrespondenz nicht ignorieren darf, dachte er. Gewiß wäre es erfreulicher, in Mademoiselles schöne Arme zu sinken. Seufzend kehrte er in sein Büro zurück, wo er seine Sekretäre bis drei Uhr nachts beschäftigte. Danach schlief er ein paar Stunden in seinem Ankleideraum, stand im Morgengrauen auf und widmete sich erneut seinen Pflichten.
Kurz nach Österreichs Niederlage bei Marengo hatte Napoleon ihn nach Mailand beordert und war nach Paris gereist, wo diverse Intrigen seine Anwesenheit erforderten. Massena mußte die ungeheure Aufgabe erfüllen, siebzigtausend Reservesoldaten und das italienische Heer zu reorganisieren und neu auszurüsten. Seit sechs Monaten hatten sie keinen Sold erhalten …
Geräusche im angrenzenden Ankleideraum weckten Serena – plätscherndes Waschwasser, Stimmengemurmel. O Gott, was sollte sie sagen, wenn der General zu ihr kam? Würde sie
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