Spitze Buben
daß wir aus der Haustür spazieren würden, als wohnten wir hier. Was er selbst vermutlich auch getan hätte. Er hatte sich nahezu perfekt in die Schatten zurückgezogen. Aber jemand, der ihn suchte, konnte ihn nicht übersehen.
Hingegen war von dem unfähigen Schrat nichts zu sehen. Merkwürdig.
Morpheus kicherte. »Wie lange werden sie wohl warten, bis sie merken, daß wir nicht mehr drin sind?«
»Wie wollen wir rauskommen?«
»Über die Dächer von TunFaire.«
Ich stimmte in sein Lachen mit ein. »Klingt wie ein interessantes Experiment. Versuchen wir's.«
»Wir könnten ihnen sogar noch die Brunos auf den Hals hetzen, wenn wir weg sind.«
»Nein, nein, das wäre übertrieben. Ich will nicht den Rest meines Lebens in Angst vor Wingers Rache leben müssen.«
»Stimmt auch wieder. Los geht's.«
Wir machten uns auf den Weg. Die Dächer waren alle flach, boten also kein Problem. Der einzige Haken war: Wie sollten wir hinunterkommen?
40. Kapitel
Wir probierten drei Abflußrohre aus, aber keins konnte mein Gewicht tragen. »Hier muß mal dringend was repariert werden«, knurrte ich. »Die Leute sollten etwas mehr Stolz zeigen und ihr Eigentum besser in Ordnung halten.«
»Oder wir sollten Garrett eine Diät verpassen.« Morpheus, das kleine Wiesel, konnte natürlich jedes Abflußrohr hinunterklettern.
Schlimmer war noch, daß wir beim letzten Versuch die Aufmerksamkeit ein paar frühreifer, zynischer Kinder erregt hatten, die zu dem Schluß kamen, daß wir nichts Gutes vorhatten. Und das nur, weil wir ein bißchen auf den Dächern herumliefen. Wir hätten auch Dachdecker auf Arbeitssuche sein können.
Aber jetzt hörte der Spaß auf. Die Patrouille mußte bald da sein.
Morpheus beugte sich über den Rand und probierte ein weiteres Abflußrohr. Eine ganze Bande von Halbstarken beobachtete uns von der Straße aus. Ich schnitt Grimassen, aber sie hatten keine Angst. »Das muß halten«, sagte Morpheus.
Ich schüttelte mich. Nicht, daß ich ihm nicht vertraut hätte. Er hatte recht. Es mußte halten, denn es wirkte solider.
Aber trotzdem ...
»Wir müssen runter, Garrett.«
»Darüber mache ich mir auch keine Sorgen. Was mich beunruhigt, ist, in wie vielen Stücken ich unten ankomme.«
Morpheus stieg über den Rand und überließ mich meinem Schicksal. Ich gab ihm einen Vorsprung und folgte ihm, wobei ich mein Gewicht auf die Haken verteilte. Ich hatte etwa drei Meter geschafft, als ich unter mir wüste elfische Flüche hörte. Eine Sekunde dachte ich, ich wäre ihm auf die Finger getreten.
»Was?« wollte ich wissen.
»Ich häng' fest.«
Ich beugte mich vor, damit ich etwas sehen konnte. Tatsächlich. Sein Hemd war aus der Hose gerutscht und hing an einem Haken fest, der das Abflußrohr hielt. Er versuchte, ein bißchen hochzuklettern, um das Hemd loszubekommen. Aus Gründen, die nur der Gott kennt, der diese Dinge entwirft, machte das die Sache noch schlimmer. Ich hörte, wie der Stoff riß. Morpheus stieß eine neue Reihe von Flüchen aus. Er löste eine Hand vom Rohr und versuchte, das Hemd zu lösen.
Es würde nicht funktionieren. Aber er war in solchen Dingen schrecklich eitel.
Weiter unten kam ein Kind auf die Idee, daß es Spaß machen könnte, uns mit Steinen zu bewerfen. Der erste Wurf traf Morpheus' Knöchel der Hand, mit der er sich festklammerte.
Nur die Tatsache, daß sein Hemd festhing, rettete ihm das Leben.
Die Götter geben, und die Götter nehmen.
Morpheus' Hemd riß ein bißchen weiter.
Und ihm riß der Geduldsfaden. Er erfand neue Flüche.
»Reiß es endlich los!« brüllte ich.
»Es ist ein neues Hemd. Ich habe es heute zum ersten Mal an.« Er kämpfte weiter damit.
Die Steine pflasterten die Wand. Und Lärm von weiter weg kündigte das Nahen der Patrouille an. »Du solltest lieber etwas unternehmen. In ein paar Minuten werden da unten Leute stehen, die etwas anderes als Steine auf dich werfen.«
»Ach ja? Auf mich?«
»Ach ja. Auf dich. Ich werde nämlich über dich rüberklettern und dich hängen lassen.«
Er wollte zurückschießen, aber ein kleiner Stein traf ihn am Hinterkopf.
Eine Klinge blitzte auf, und hübscher Stoff flatterte im Wind. Wie der Blitz war Morpheus am Boden. Die Kinder kreischten auf und verschwanden. Ich holte ihn ein, während er noch überlegte, welchem Kind er nachjagen sollte. »Los, verschwinden wir!« Die Patrouille war schon verdammt nah, fast in Speerwurfweite.
Morpheus sah aus, als wollte er lieber bleiben und kämpfen. Er
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