Splitter im Auge - Kriminalroman
Schulschwänzer sich in den Elektronikmärkten an den Spielkonsolen rumtrieben. Er bestellte sich einen Kaffee und zahlte gleich, was er immer tat, um im Fall des Falles sofort gehen zu können, aber danach sah es im Augenblick nicht aus. Die Essener City wirkte wie alle Innenstädte um diese Uhrzeit. Die meisten Menschen hatten es eilig, hin und wieder schoben junge Mütter Kinder vor sich her, die weder in der Schule noch im Kindergarten abgegeben werden konnten. Manchmal war auch ein Vater dabei, nur die wenigsten hatten ausgeruhte Gesichter.
In diesem Augenblick sah er auf der anderen Seite des Platzes ein Objekt, das ihn sofort aufspringen ließ. Selbst auf diese Entfernung zeigte das Mädchen alle Merkmale. Es ging Richtung Kettwiger Straße, und er versuchte zu folgen und den großen Vorsprung zu reduzieren, ohne besondere Aufmerksamkeit zu erregen. Kurz vor dem Bahnhof war er bis auf fünfzig Meter herangekommen, trotzdem erwischte das Mädchen die Fußgängerampel noch vor ihm und verschwand in der Eingangshalle. Als er endlich Grün bekam, war in dem Gewimmel nichts mehr zu sehen. Langsam ging er an den Läden vorbei, stieg die Treppe zu Bahnsteig sechs hinauf und ließ seinen Blick wandern. Das Mädchen stand auf Bahnsteig neun, dem Bahnsteig für die S-Bahnen, und er las auf einem der Abfahrtspläne, dass als Nächstes von dort in fünf Minuten ein Zug nach Wuppertal abfuhr. Über die Gleise hinweg beobachtete er das Objekt noch eine Minute weiter, ob sich der Aufwand tatsächlich lohnen würde. Dann stieg er in die Unterführung hinunter und anschließend zum Bahnsteig neun hinauf. Es lagen jetzt vielleicht dreißig Meter zwischen ihm und dem Objekt, aber die Sicht war frei.
Früher hatte er sich bei seinen Fahrten Notizen gemacht, hatte jede Kleinigkeit notiert, die Orte, an denen er sie gesehen hatte, die Straßen und Adressen und erst recht die Besonderheiten, wenn es welche gab. Dabei hatte er sie aus Sicherheitsgründen Objekte genannt, als seien es Häuser oder Grundstücke. Bis er bei der Fahndung nach einem Bankraub zufällig in eine Polizeikontrolle gekommen war und die Bullen sich das Heft angesehen hatten. Sie hatten natürlich keine Ahnung, was es tatsächlich zu bedeuten hatte, aber danach waren ihm auch diese Aufzeichnungen wegen der Adressen zu unsicher geworden, und er hatte sich ein Merksystem zurechtgelegt, das ohne Papier auskam. Sie im Kopf Objekte zu nennen, hatte er beibehalten.
Der Zug rollte in den Bahnhof, er wartete ab, ob sie diese Bahn nahm, und stieg zwei Wagen hinter ihr ein. Im Zug zog er sich am Automaten ein Ticket und ging langsam nach vorn.
Sie saß mit weißen Stöpseln in den Ohren auf einem Fensterplatz und sah der Landschaft beim Vorbeiziehen zu. Er setzte sich ein paar Reihen weiter in eine Bank gegenüber, sodass er verdeckt war, ihr Gesicht aber zwischen zwei Kopfstützen im Blick haben konnte, wenn er wollte. Sie war wahrscheinlich keine Ausländerin, leider, das machte es oft leichter. Ausländerinnen in diesem Alter waren sehr an Autorität gewöhnt. Vom Alter her passte es, sie war vielleicht dreizehn oder vierzehn. Auch die Figur war im Rahmen, aber es sah nicht so aus, als ob sie Drogen nähme, dafür hatte er ein Gefühl. Drogen erleichterten die Sache ebenfalls, vor allem den ersten Kontakt.
Nach einer Weile rief sie irgendjemanden mit dem Handy an und stieg wenig später in einem Nest aus. Er las im Display über der Tür, dass der Ort Velbert-Rosenhügel hieß und folgte ihr. Es war ein moderner Provinzbahnhof in der Pampa, und sie ging sofort zur Straße und wartete dort. Keine zwei Minuten vergingen, als ein dunkler BMW -Kombi kam und auf ihrer Höhe hielt. Sie stieg ein, und trotz der Spiegelung auf der Windschutzscheibe konnte er erkennen, dass sie den Mann am Steuer umarmte. Der war älter, gut gekleidet, soweit er das beurteilen konnte, und lachte. Sie lachte auch. Welch eine wunderbare Vater-Tochter-Idylle, welch rührende Fürsorge, dachte er.
Noch bevor der Wagen anfuhr, hatte er sich umgedreht und war wieder zum Bahnsteig gegangen.
Zwölf Minuten später kam eine S-Bahn in Richtung Essen. Auf der Rückfahrt löschte er alles aus seinem inneren System, ihre Haltung, ihre Gestalt, das Gesicht und Velbert-Rosenhügel.
Manchmal irrte man sich halt.
6
Paul Battaglino war der bestaussehende Polizist im Land. Dieser Meinung waren jedenfalls die meisten Kolleginnen, mit denen er im Laufe der Jahre zusammengearbeitet hatte. Wahrscheinlich lag
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