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Splitterfasernackt

Splitterfasernackt

Titel: Splitterfasernackt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilly Lindner
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Stunde perversen Penner und blödes Arschloch«, raunt Minny mir grinsend zu und verschwindet dann schnell im Badezimmer, um sich für einen Kunden fertig zu machen.
    Ich lege meine Tasche auf das Bett zu all den anderen Sachen, begrüße Eriko, der gerade den Schrank nach seinem blauen Lieblingspullover durchsucht, und gebe Marla, die in Zimmer eins auf der Matratze sitzt und sich mit Schwangerschaftsyoga beschäftigt, einen Kuss auf die Wange.
    Dann stelle ich eine Packung Kekse für die anderen Mädchen auf den Tisch – ich selbst esse ja nichts.
    Hungern ist mein Leben. Verhungern ist mein Tod.
    Noch im Sarg liegend werde ich die Luft anhalten.
    Um dünner zu sein.
    Nach diesem geisteskranken Gedanken ziehe ich mir ein hübsches Kleid an und krieche anschließend in das Bett im Mädchenzimmer. Kaum habe ich mir die Decke über den Kopf gezogen, kommt auch schon Brittany hereingestürmt, reißt mir die Decke wieder weg und schnauzt zeitgleich in ihr Handy: »Ich belüge dich nicht! Was denkst du denn! Ich arbeite nicht mehr im Passion! Ich bin bei einer Freundin. Möchtest du mit ihr sprechen? Ja? Warte. Hier!« Brittany hält mir den Hörer hin.
    »Ähm«, sage ich, »hier ist Lilly.«
    »Wer?«, fragt ein Typ am anderen Ende.
    »Lilly«, wiederhole ich. »Also … ich will euch beide ja nicht beim Streiten stören … aber meine Schwester hat morgen Geburtstag, und Saskia (das ist Brittanys echter Name) wollte mir eigentlich noch helfen, ein Geschenk auszusuchen, doch dazu müssten wir so langsam mal losgehen.«
    »Ach so«, sagt der Typ und klingt dabei etwas freundlicher, wenn auch trotzdem ziemlich dämlich. Aber Brittany mag solche Männer.
    »Hauptsache, sie haben viel Geld und viel Schwanz«, hat sie einmal zu mir gesagt. »Gehirn ist zweitrangig, davon habe ich selbst genug.«
    Ich reiche ihr das Handy zurück.
    »Siehst du«, sagt Brittany genervt zu ihrem Freund. »Wir können uns gerne später sehen, aber jetzt gehe ich erst einmal mit Lilly shoppen.«
    Dann legt Brittany auf, zwinkert mir fröhlich grinsend zu und verdrückt sich ins Badezimmer, weil sie gleich einen ihrer Stammkunden erwartet. Ich ziehe die Decke wieder über meinen Kopf und versuche mir vorzustellen, auf irgendeiner Insel am Meer in der brütenden Sonne zu liegen. Aber davon wird mir auch nicht wärmer.
    Und dann kommt die Flut.
    Die Männerflut.

14
    V ielleicht sind die Sonntage im Passion die schönsten Tage, denn Eriko erlaubt es uns Mädchen, dort zu wohnen, falls wir gerade keine Wohnung haben. So kommt es hin und wieder vor, dass auch an einem arbeitsfreien Sonntag Licht hinter den roten Vorhängen scheint und die männerlosen Räume von hübschen Mädchen regiert werden.
    Zurzeit wohnen Dasha und ein neues Mädchen namens Amy im Passion. Dasha kann nicht in ihrer Wohnung schlafen, weil diese gerade renoviert wird, und Amy hat kein Zuhause, da ihre Stiefmutter sie einfach mal soeben vor die Tür gesetzt hat.
    Ich selbst bin wieder einmal rastlos und weiß nichts mit mir anzufangen, also spaziere ich durch die verlassenen Straßen und komme schließlich im Hauseingang des Passion zum Stehen. Einen Moment lang lungere ich unschlüssig herum, aber da mir nichts Besseres einfällt, klingele ich, und kurz darauf wird der Summer betätigt.
    Einige Minuten später sitze ich mit Dasha und Amy an dem großen Tisch im Wohnzimmer, knabbere vorsichtig an Nüssen und Gummibärchen herum, lache und fühle mich geborgen. Es ist beruhigend, nicht mehr das Mädchen zu sein, das immer am weitesten im Abseits steht und jeden Moment einfach verschwinden könnte, ohne dass es jemanden interessieren würde. Ich bin ein Teil von etwas, auch wenn es nur ein Raum voll verkaufter junger Frauen auf einer nackten Gratwanderung ist.
    Natürlich bin ich nach wie vor besessen davon, allein zu sein. Kein Dialog ist aufrichtiger oder verlogener als der mit sich selbst. Und einsam in einer Wohnung zu sitzen ist so viel unkomplizierter, als unter Menschen zu sein, die essen und trinken und lachen und so sehr am Leben sind, dass ihr Anblick schmerzt.
    Aber im Passion bin ich merkwürdigerweise anders. Dort umfängt mich die einzige Geborgenheit, die ich kenne. Ein sanfter Hauch von Schönheit, eine verspielte Leichtigkeit, ein helles Stimmenwirrwarr und zwischendrin das entblößte Abkommen mit dem Feind.
    Ich bin mehr ich. Und manchmal lasse ich Ana in meiner Wohnung zurück. Ich lache lauter, ich schlafe tiefer, und ich wache fröhlicher auf. Hin und

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