Splitterfasernackt
nur um vier Dinge: um Ana, um Mia, um das kleine Mädchen und um Schadensbegrenzung. Ich bin total besessen.
Nachts träume ich von Brathähnchen und Curryreis, von Bergen voller Vanillepudding mit Schlagsahne und von Bananenmilchshakes, aber am Morgen wache ich auf, mit blauen Flecken, weil meine Knochen durch meine Haut hindurch auf der Matratze scheuern.
Wenn ich nicht zu sehr mit Verhungern oder Ohnmächtigwerden beschäftigt bin, gehe ich ins Passion. Ich traue mich nicht, nur vier oder fünf Tage die Woche zu arbeiten, ich muss jeden Tag dort sein, außer am Sonntag. Egal, ob ich Termine annehme oder einfach nur bei den anderen Mädchen sein möchte. Egal, ob ich Geld verdiene oder meine Zeit verschwende. Ich kann eine ganze Woche lang unberührt im Bordell auf einem der Betten liegen und fremden Menschen beim Sex lauschen. Nur nach Hause gehen kann ich nicht immer. Zu groß ist die Angst vor dem Nichts, das mich dort umgibt.
Freizeit habe ich so gut wie gar nicht mehr, die Stunden für mein Privatleben sind knapp bemessen. An den Sonntagen versuche ich die Versäumnisse einer ganzen Woche nachzuholen: Ich gehe mit Chase einen Kaffee trinken (ohne Zucker und ohne Milch), dann besuche ich meine Eltern und esse mit ihnen zu Mittag (anschließend erbreche ich bei laufendem Wasser, mache meine Haare nass und sage: Ich habe nur schnell geduscht …), dann räume ich meine Wohnung auf, baue ein paar neue Regale zusammen (zwischendurch kippe ich zweimal gegen die Wand und falle dreimal auf den Boden), danach treffe ich mich mit zwei Freundinnen auf einen weiteren Kaffee (von dem ich nichts trinke), dann räume ich meine Regale ein, hänge meine Wäsche auf, und schließlich gehe ich noch mit Brittany in ihre Lieblingscocktailbar, bevor ich nach Hause schlendere, den alkoholfreien Cocktail erbreche und halb tot ins Bett kippe.
Geld auszugeben erweist sich als komplizierter, als ich je gedacht hätte, denn ich habe ja gar keine Zeit, um shoppen zu gehen. Sonntags haben die Läden bekannterweise meistens geschlossen, und wenn ich während der Woche manchmal eine Mittagspause mache und ein bisschen bummeln gehe, dann ist mein Körper so schlapp, dass ich es nur in ein oder zwei Läden schaffe, bevor ich keine Kraft mehr habe und mich zurück nach Hause oder ins Passion schleife. Keine Ahnung, wie ich es schaffe zu vögeln, wenn sogar Kleidung anprobieren fast unmöglich ist. Es grenzt für mich an Leistungssport, eine Umkleidekabinentür mit einer Hand zu öffnen.
Jetzt bin ich also nicht mehr nur ana- und miasüchtig, sondern noch dazu arbeits- und sexsüchtig. Ich möchte mir lieber nicht ausrechnen, wie viel Zeit meines Lebens ich damit verschwende, nach irgendwelchen Dingen süchtig zu sein. Es ist eine Lebensaufgabe, alle Nahrungsmittelvorräte der Welt zu vernichten oder sie enthaltsam und herablassend anzustarren. Und ich möchte so gerne aufhören können, meinen Körper zu verkaufen und meine Seele zugrunde zu richten.
Aber ich weiß nicht, wie.
Also wickele ich mich fest in meine Decke ein und versuche, dem nagenden Hunger in mir zu entkommen, indem ich einschlafe.
Aber in der viel zu stillen Nacht umfangen mich meine dunklen Träume: Da ist ein kleines Mädchen, es liegt hinter einem Schrank versteckt, in der dunkelsten Ecke seines Zimmers. Es ist mucksmäuschenstill, es hat die Arme ganz fest um seinen Körper geschlungen, und es kauert dort – wartend und hoffend, dass das Unheil nicht kommt.
Und dann kommt es doch.
13
E s ist vier Uhr morgens, als Chase mich aus dem Bett klingelt und sagt: »Komm, zieh dich an, wir gehen zum Savignyplatz und essen Pizza.«
»Nein danke, ich will schlafen«, erwidere ich und versuche die Tür wieder zuzuschieben, aber da hat Chase auch schon seinen Fuß in den Türrahmen geklemmt.
»Bitte«, sagt er, »ich knutsche auch nicht mit irgendwelchen heißen Fans herum.«
»Du kannst küssen, wen und wann du willst«, murmele ich genervt und verschlafen.
Da schiebt Chase meine Wohnungstür ganz auf, kommt einen Schritt auf mich zu und hebt mich mit einer solchen Leichtigkeit hoch, als wäre ich eine Feder. Dann drückt er mir einen Kuss auf den Mund, bis mir schwindlig wird.
»So«, sagt er, nachdem er mich zurück auf den Boden gesetzt hat. »Kommst du jetzt mit, oder was?«
Ich bin leicht zu schlagen mit Zärtlichkeit.
Meine Seele schmerzt vor Verlangen.
Also ziehe ich mir eine schwarze Strumpfhose an, darüber ein zu langes violettes Shirt und keinen Rock.
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