Splitterfasernackt
verschränkt seine überwältigenden Arme vor der Brust, hört endlich auf zu grinsen und sagt dann mit dieser Stimme, die mich berührt, wie selten etwas: »Meine Süße. Ich werde dich nicht ohnmächtig schlagen, ich werde dich nicht in irgendeinen Keller zerren und dir schreckliche Dinge antun, ich werde nicht laut werden, nicht unberechenbar, nicht brutal und auch sonst nichts, was dein Wesen an der Stelle berührt, die dich geprägt hat. Aber du wirst mir diesen Gefallen heute tun, weil du seit Tagen nichts mehr gegessen hast, weil du nicht das Recht dazu hast, dich jetzt schon aus deinem Leben zu schleichen – und weil es mir verdammt noch mal weh tut, dich so zu sehen!«
Atempause. Die Luft ist schwer.
Und ausgetrocknet.
Ich will weinen.
Aber ich tue es nicht.
Denn ich weine nur, wenn ich alleine bin.
Ich bin unberührbar.
Niemand bringt mich ins Schwanken.
Meine Süße,
sagt Chase immer zu mir. Es klingt, als wäre ich etwas Besonderes. Und es klingt schön, auch wenn Chase wahrscheinlich alle Frauen auf der Welt so nennen würde, nur um sie in sein Bett zu kriegen.
Schließlich esse ich sechseinhalb Stückchen von der zerhackten Pizza. Die Stückchen mit dem wenigsten Käse und ohne Salami. Da lächelt Chase mich an, lehnt sich leicht über den Tisch, streckt eine Hand aus und berührt so zärtlich meine Wange, dass ich mir auf die Lippen beißen muss, um nicht zu schreien.
Die Sonne geht schon auf, als ich wieder nach Hause komme und die Wohnungstür hinter mir schließe. Ich bin entsetzlich müde und kauere mich im Flur auf den Fußboden, dann ziehe ich meine Beine ganz eng an meinen Körper, lege meine Stirn auf die Knie, umfasse mit einem dürren Arm meine Beine und streiche mir mit der anderen Hand sanft über meinen dröhnenden Kopf.
Ich nehme mich selbst in die Arme; ich verarsche mich und meinen Körper – darin bin ich Weltklasse. Ich schließe die Augen und stelle mir vor, jemand anders würde mich im Arm halten, jemand, der stark genug ist. Stärker als ich. Weiser. Geduldiger. Aufrichtiger. Beständiger.
Ich belüge mich.
Ich spiele mit mir.
Verdammt, ich weiß, dass ich verliere!
Und manchmal wünsche ich mir, es wäre endlich vorbei.
Und doch: Hänge ich an meinem Leben.
Und nicht an einem Seil.
Aber ich werde sterben, wenn ich mich nicht bald freilassen kann. Ich werde sterben, wenn Ana und Mia nicht ihre Karten auf den Tisch werfen und sich ein verdammtes Gurkensandwich teilen, oder von mir aus auch ein Stück Käsekuchen. Chase hat mich umarmt zum Abschied, als wäre ich dermaßen krank, dass wir uns vielleicht nie wiedersehen können. Ich will nicht, dass er so etwas denkt.
Ich will morgen auch noch hier sein.
Und das bin ich. Müde zwar und schwach, obwohl es schon fast vierzehn Uhr ist, als ich wach werde, aber immerhin: Ich öffne meine Augen.
Dann lege ich mich in die Badewanne, damit meine Hautfarbe von erfrorenblau zu leichenweiß wechselt, und versuche zum hundertsten Mal vergeblich, Lady auf ihrem Handy zu erreichen.
Nachdem ich mich angezogen habe, spaziere ich in Richtung Passion. Der Herbstwind ist kühl, und ich friere trotz der zwei Pullover und der dicken Daunenjacke. Es ist nicht die Art von Kälte, die ich früher empfunden habe, als ich noch nicht am Verhungern war. Es ist keine Winterkälte, keine Schneekälte, es ist nicht wie ein zu hastig gegessenes Eis, wie eine zu kalte Dusche oder wie ein eisiger Regenschauer. Nein, diese Kälte ist beißend und rauh, sie scheint tief aus den Knochen zu kommen, und sie nagt so bitter an jedem Körperteil, dass ich weinen möchte vor Schmerzen.
Der Weg bis zum Passion kommt mir unendlich lang vor, obwohl ich so schnell laufe, wie ich nur kann, damit mir wenigstens ein bisschen warm wird. Meine Beine fühlen sich wackelig an, und ich rechne jeden Augenblick damit, den Boden unter den Füßen oder meinen Verstand zu verlieren.
Aber irgendwann stehe ich dann doch vor der Passiontür, mit rasselndem Atem zwar und Gummibeinen, aber dafür mit meiner bildhübschen Freundin Ana an der Seite. Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass ich nicht einmal zehn Minuten für den Weg gebraucht habe, doch was nutzt mir das, wenn es mir wie eine Stunde vorgekommen ist.
Minny öffnet lächelnd die Tür und umarmt mich stürmisch. Aus dem Wohnzimmer höre ich sofort Brittanys Stimme, sie ist ganz offensichtlich dabei, sich am Telefon lautstark mit ihrem Freund der Woche zu streiten.
»Sie nennen ihn schon seit eine
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