Splitterfasernackt
fragt er, nachdem er sich wieder angezogen hat. »Ich würde dich wirklich gerne kennenlernen, Felia.«
»Tut mir leid«, sage ich, »ich gehe niemals mit Kunden aus.«
Er guckt etwas verwirrt.
»Normalerweise rennen mir die Frauen haufenweise hinterher und stecken mir ihre Nummern zu. Und da ergreife ich einmal die Initiative und bekomme gleich einen Korb«, sagt er schließlich und lacht amüsiert.
»Es ist nicht böse gemeint«, erwidere ich.
Und das ist es auch nicht. Denn wie könnte ich.
Verletzen, was nicht mir gehört.
»Keine Sorge, ist schon okay«, sagt er und sieht mich nachdenklich an. Dann drückt er mir eine Visitenkarte in die Hand, gibt mir einen Abschiedskuss auf die Stirn, streicht mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht und meint: »Aber falls du es dir anders überlegst, meine Hübsche, es wäre wirklich sehr schön, dich wiederzusehen – auch ohne Sex.«
Nachdem er weg ist, zerreiße ich seine Visitenkarte und spüle die Fetzen in der Toilette runter. Dann atme ich einmal tief durch, sage Ana, dass sie eine blöde Kuh ist, und gehe ins Wohnzimmer. Dort setze ich mich zu den anderen Mädchen an den Tisch, lache mit ihnen und esse ein halbes Stück von dem Erdbeerkuchen.
Meine Gedanken driften davon, und ich bekomme nur vereinzelte Wortfetzen aus den Gesprächen mit. Aber was ich auch versuche, der Nebel in meinem Kopf bleibt dichter als jede Art von Realität.
Einmal in diesem Leben möchte ich morgens aufwachen und verstehen, warum ein Mann eine Frau vergewaltigt. Ich möchte begreifen, warum Männer kleine Kinder ficken. Und warum nichts, aber auch gar nichts, eine Vergewaltigung ungeschehen machen kann, so dass alles wieder in Ordnung kommt.
Es heißt, dass alle Mädchen, die vergewaltigt worden sind, sich wünschen, sie wären die Letzte. Wir hassen uns dafür, wenn wir es nicht schaffen, unsere Peiniger anzuzeigen, wir verachten uns für diese Schwäche, und wir flüstern uns zu: »Jedes Mädchen, jedes Kind, jede Frau, die er ab jetzt noch vergewaltigt, stirbt auch ein bisschen wegen dir.«
Und was machen wir mit uns selbst, wenn die Hilflosigkeit so groß wird, dass
Sterben
nicht viel mehr als
vielleicht doch nicht sterben
ist?
Die Statistik belegt, dass man wesentlich schneller im Gefängnis landet, wenn man einen Supermarkt ausraubt, als wenn man eine Frau vergewaltigt. Ein Mann bekommt mit großer Wahrscheinlichkeit mehr Probleme, wenn er Steuern hinterzieht, als wenn er ein Kind missbraucht. Vielleicht sagen sich deshalb die Männer: »Bank überfallen? Ach nein, ist mir zu riskant. Ich vergewaltige lieber meine hübsche Nachbarin. Und wenn sie mich anzeigen sollte, dann sage ich einfach, sie hätte einen kurzen Rock angehabt und zu allem
ja
gesagt. Im schlimmsten Fall bekomme ich drei Jahre auf Bewährung. Dann ziehe ich um und suche mir eine neue Nachbarin.«
Ich frage mich, warum ich mich selbst verschwende, obwohl ich doch gar nichts dafürkann, was mit mir passiert ist. Und warum ich mich lieber verletze, als mich zu trösten. Ich würde mir jederzeit ein böses Wort in den Arm ritzen, aber niemals eine Entschuldigung.
Ja. Es gibt so vieles, was ich nie verstehen kann. Und es gibt so vieles, was ich niemals wissen werde, auch wenn man es mir noch so anschaulich erklärt.
Aber eins weiß ich mit Sicherheit: dass wir das Leben führen, für das wir uns entscheiden. Dass wir so tief fallen, wie wir es zulassen, dass wir so weit sehen, wie wir es wagen, die Augen zu öffnen.
Und dass die Worte, die wir sprechen, nur so lange weiterklingen, wie wir ihnen Nachdruck verleihen.
17
A n manchen Tagen kommt mir die ganze Welt wie ein einziger großer Pornofilm vor. Ein ziemlich mieser Porno, mit hässlichen Männern, abgelutschten Schwänzen, gelangweilten Frauen, aufgepumpten Titten, peinlichen Dialogen und gefälschten Geldscheinen.
Ich versuche Lady anzurufen, um ihr von meinem Pornoweltempfinden zu erzählen und um sie zu fragen, wie es mit ihrer Tochter so läuft. Aber natürlich schaltet sich wieder einmal nur ihre Mailbox ein, und ich muss meinen ganzen Text auf ein dämliches Band quatschen. Anschließend geht es mir noch schlechter als vorher. Denn mit einer Mailbox über Persönlichkeitsstörungen und feuchte Schwänze zu reden, fühlt sich an wie billige Schizophrenie für Anfänger.
Aber drei Tage später bekomme ich einen Brief von Lady, er riecht nach Schäreninseln und Kinderzahnpasta, und auf den ökofarbenen Umschlag sind vier windschiefe Mohnblumen
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