Splitterfasernackt
und ein halber blaurot gestreifter Vogel mit unterschiedlich großen Flügeln gekritzelt.
Ich öffne den Brief so hastig, als könnte er sich jeden Moment in Luft auflösen, dann falte ich den Briefbogen auseinander und lese:
Süße … was machst du nur mit deinem Leben? Du hast nur dieses eine! Verlier es nicht! Wir sehen uns bald wieder, ich rufe dich an, wenn ich zurück in Berlin bin. Und dann erzähle ich dir von meinen nackten Zeiten – von den Pornos, die ich gedreht habe, und den Joints. Es ist ein Glück, dass es dich gibt. Deine Lady.
Auf dem Umschlag steht keine Absenderadresse.
Ich nehme an, das ist die freundliche Art zu sagen: Schreib mir bitte keinen Brief zurück.
Minny hat sich in dieser Woche ihre Brüste vergrößern lassen. Ich fand ihre natürlichen wunderschön, aber meine Meinung dazu war nicht von Bedeutung. Das kann ich gut verstehen. Mir sind schließlich auch alle Menschen egal, die mir erzählen wollen, dass ich dünn sei oder schlank oder ein gottverdammter Strich in der Landschaft.
Ich weiß es besser.
Genau wie Ana.
Aber es macht mir Angst mitzuerleben, wie ein so hübsches Mädchen wie Minny, das einen Haufen Verehrer hat und viele Freunde – ein Mädchen, das Geld bis zum Abwinken besitzt und dazu auch noch Verstand, wie so ein Mädchen auf die Idee kommen kann, dass ein künstlicher Busen ihr etwas geben könnte, das sie vorher nicht hatte.
Aber wahrscheinlich mache ich mir selbst noch viel mehr Angst, denn immerhin bin ich diejenige, die den Tag mit Hungern oder Verbluten verbringt, weil ich doch tatsächlich glaube, dass mir Selbstzerstörung etwas geben würde, das ich dringend brauche.
Also sage ich lieber nichts und bin einfach froh, dass ich nicht auch noch eine Stimme in meinem gespaltenen Kopf habe, die nach Silikonbrüsten, künstlichen Haarteilen oder aufgespritzten Lippen verlangt.
Ich bin schon verzweifelt genug, weil ich mich freiwillig unter einen Mann lege, der mir kein bisschen sympathisch ist, der Mundgeruch hat, der seine raue Zunge immer wieder in meinen Mund bohrt, der verschwitzt und feucht an meinem Körper klebt und ungeschickt an meinen Brüsten zieht. Es ist erniedrigend, wenn ein Mann mit hässlicher Stimme sagt: »Mach das und das und so, nein so …« Vor allem, wenn er dabei auch noch glaubt, er wäre männlich.
Es ist ernüchternd.
Nur ein Stück Fleisch zu sein.
Aber ich habe mir diesen Job selbst ausgesucht, ich habe meinen Körper in die roten Räume des Passion geschleift und an ein fremdes Bett gekettet. An manchen Tagen bin ich gerne dort, trotz meiner Fesseln, aber an anderen kann ich nicht begreifen, warum ich bleibe.
Bisher hatte ich meistens Glück mit meinen Gästen, ich kann diejenigen, mit denen ich kein weiteres Mal auf ein Zimmer gehen würde, an einer Hand abzählen; aber das liegt wahrscheinlich auch daran, dass ich keine Quickies annehme. Manchmal weint eines der anderen Mädchen nach einem Termin und schlägt die Hände vor ihr Gesicht.
Die Räume des Passion wirken dann eng und bedrohlich, die Luft ist schwer vor Schuld und Scham, und jeder klingelnde Mann ist nur ein Eindringling in einen Frieden, der nicht uns gehört.
Ich finde es leichter, über schönen Sex zu schreiben, auch wenn ich davon keine Ahnung habe. Aber ich weiß immerhin, dass es einfacher ist, mit einem anderen Mädchen zusammen gebucht zu werden: Brittany hat diese großen samtweichen Brüste, und jeder ihrer Kunden ist ganz verrückt danach, mit seinem Gesicht dazwischen zu verschwinden. Und Amy ist jedes Mal ganz verlegen und spricht am Anfang nur mit gesenkten Augen. Sie ist etwas jünger als ich, und wenn sie redet, könnte man denken, ein kleines Kind stehe vor einem. Viele Männer mögen das – es macht sie an, aber mir tut Amy leid, weil sie so naiv ist. Mit Valesca habe ich einige Stammkunden zusammen, sie hat eine ähnliche Figur wie ich und auch lange dunkle Haare. Ich mag die Art, wie sie ihren Körper bewegt und mich nah zu sich heranzieht, wenn wir gemeinsam auf einem Zimmer sind. Minny hingegen ist ein kleiner blonder Engel, der sich im Bett zu einem total verzogenen Sexteufelchen verwandelt. Sie lässt ihre Zunge so flink und verschlagen um eine Schwanzspitze kreisen, dass die Männer ihr reihenweise verfallen.
Es ist ein Geständnis auf Zeit, die Masken der anderen Mädchen zu sehen. Aber auch wenn wir unsere Rollen perfekt einstudiert haben, auch wenn wir sie noch so überzeugend auf die Bühne tragen können,
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