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Splitterfasernackt

Splitterfasernackt

Titel: Splitterfasernackt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilly Lindner
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manchmal läuft doch alles aus dem Ruder. So wie heute. Ich verlasse gerade das Badezimmer und bin dabei, meine Haare abzutrocknen, da höre ich aus Zimmer vier ein leises Schluchzen hervordringen. Unsicher bleibe ich stehen und lausche einen Moment, ob ich nicht vielleicht nur ein Stöhnen falsch gedeutet habe, aber dann bin ich mir sicher, jemanden weinen zu hören. Also klopfe ich an die Tür, und weil keine Antwort kommt, schiebe ich sie schließlich langsam auf.
    Amy liegt zusammengerollt auf dem hellen Seidenbett und hat ihr Gesicht in einem Haufen von Kissen vergraben.
    »Darf ich reinkommen?«, frage ich vorsichtig.
    Amy reagiert nicht darauf, und nachdem ich eine Weile zögernd im Türrahmen gestanden habe, tappe ich auf Zehenspitzen zu dem Himmelbett hinüber und setze mich neben sie.
    Da hebt Amy ihren Kopf einen Augenblick aus den Kissen, sieht mich an, schnieft und wendet sich anschließend wieder von mir ab.
    »Was ist denn los mit dir?«, frage ich leise und streiche ihr sanft über den Rücken. »Hat ein Kunde dich schlecht behandelt?«
    Daraufhin weint Amy nur noch mehr, und ich sitze hilflos daneben und weiß nicht, was ich machen soll. Als Amy sich schließlich ein wenig beruhigt hat, erzählt sie mir, dass ihr Freund Alex herausgefunden hat, dass sie im Passion arbeitet, und dass er jetzt drauf und dran ist, vollkommen auszurasten.
    »Er verlangt von mir, dass ich sofort aufhöre«, schluchzt Amy und wischt sich ein paar Tränen aus dem Gesicht. »Aber wie soll ich denn meine Miete bezahlen, ich bin doch gerade erst eingezogen, die Kaution war so hoch. Und ich muss Geld sparen, das ich meiner Mama nach Russland schicken kann. Ich will doch nur noch ein paar Monate hier arbeiten, bis ich genug zurückgelegt habe, um ganz neu anzufangen. Oh, Lilly, ich kann nicht sofort aufhören. Was soll ich denn nur machen?«
    »Sag, dass du sein weg von hier«, schlägt Dasha vor, die auf einmal nackt im Türrahmen steht und dabei ist, sich in ein durchsichtiges Netzkleid zu zwängen. »Sag Eriko, er soll machen Fotos weg von die Internet. Dann du aussuchen neuen Name und machen andere Fotos mit Perücke. Oder du sagen Freund, er soll gehen, wenn du ihn nicht lieben.«
    »Du verstehst nicht«, schnieft Amy, »er wird mich nicht einfach gehen lassen. Und er wird kontrollieren, ob ich noch hier arbeite.«
    »Wir zusammenhalten. Wenn er anrufen, Marla kann sagen, du nicht mehr hier, oder wenn er klingeln, wir anderen Mädchen auch das sagen. Du kannst gehen durch Hintereingang. Niemand wird merken!«, sagt Dasha und setzt sich zu uns auf das Bett.
    Amy nickt unsicher und sieht mich fragend an.
    Aber meine Welt funktioniert anders.
    Ich könnte nie mit einem Mann zusammen sein, dem ich verheimlichen müsste, dass ich in einem Bordell arbeite oder gearbeitet habe. Egal, wie viele Geschichten ich erfinden muss, um durch den Tag zu kommen, wenn es um wahre Freundschaft geht oder um Liebe, dann muss ich ehrlich sein. Denn wenn mich jemand nicht mehr liebt, weil ich nicht mit Nein antworten kann, falls er mich fragt: »Sag mal, Lilly, wenn man von der Anzahl deiner Sexpartner die Zahl fünfhundert abzieht, bist du dann eigentlich noch Jungfrau?«
    Wenn ich darauf ein Nein erwidern würde.
    Und er daraufhin »Auf Nimmerwiedersehen« sagen müsste.
    Wenn er mich geringschätzen würde oder verachtet, dann hätte er mich wahrscheinlich auch vorher nicht geliebt. Denn mein Wert wird nicht von den Männern bestimmt, die mich gefickt haben. Und auch nicht von denen, die nichts verstehen.
    Außerdem hat meine Mutter mir das eine beigebracht: dass man die Menschen um sich herum so behandeln sollte, wie man selbst behandelt werden will. Es klappt vielleicht nicht immer, aber es ist das Richtige. Und ich würde es wissen wollen, ob mein Freund ein Zuhälter, Callboy, Politiker oder Zahnarzt ist. Oder ein Vergewaltiger.
    Das bisschen Wahrheit brauche ich. Damit ich sicher sein kann, dass ich um meiner selbst willen gemocht werde und nicht nur für meine Auftritte im glänzenden Kostüm.
    Also zucke ich auf Amys fragenden Blick hin bloß mit den Schultern, und da ihr nichts Besseres einfällt, als Dashas Vorschlag zu befolgen, ruft sie schließlich Eriko an. Der brummt ein bisschen genervt herum, weil er findet, dass wir Frauen ziemlich blöd sind, wenn es um die Wahl unserer Freunde geht (womit er wahrscheinlich sogar recht hat), aber dann ruft er doch den Internetfuzzi an, und Amys Fotos verschwinden vorerst von unserer

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