Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Splitterherz

Titel: Splitterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
Vom Netzwerk:
samtigen dunklen Augen verklärt und nach innen gerichtet. Maike hämmerte fachmännisch an dem wetterge­gerbten Käfig herum, schrubbte ihn, richtete ihn neu ein, während ich mir bei dem schwierigen Unterfangen, die Fluchtversuche der Kaninchen zu vereiteln, meine sauteure weiße Hose ruinierte. Aber auch das war mir irgendwie egal.
    Maike und ich redeten nicht viel und wenn, dann belanglose Din­ge: Schule, Klassenkameraden, Lernstoff. Erst als der Käfig wieder intakt war und die Kaninchen mümmelnd ihr renoviertes Zuhause bezogen hatten, stellte Maike doch noch eine Frage.
    »Köln ist ziemlich klasse, oder? Also im Vergleich zu hier?«
    Noch vor zwei Wochen hätte ich ihr ein spontanes Ja zur Antwort gegeben und zu schwärmen begonnen. Aber die Sonne, die nun mit aller Kraft auf unsere Rücken brannte, hatte mich mundfaul ge­macht.
    Wäre ich jetzt lieber in Köln, in meinem alten Leben? Sicher, es wäre einfacher. Alles. Ich hätte diesen verfluchten Colin - ein kleines Gewitter erschütterte mein Herz - nie kennengelernt, ich wüsste nicht, was es mit meinem Vater auf sich hatte, und wahrscheinlich hätte Tobias nicht sofort die Baggerfronten gewechselt und wir wä­ren vielleicht sogar ein Paar geworden. Und Grischa ...
    Ich fixierte die gelbgrünen Grasflecken auf meinen Knien, atmete einmal aus, einmal ein und sagte dann träge: »Ach, weißt du, Köln ist eigentlich hässlich. Zu viele Straßen, zu viele Autos und die Luft stinkt. Es ist nichts Besonderes.«
    Maike starrte mich einige Sekunden an und legte sich dann zu­rück ins Gras, wo das Lachen ihren ganzen Körper erschütterte. Ihre Schwestern lachten mit, obwohl sie weiter weg bei den Karnickeln saßen und gar nicht wussten, worum es in unserem Gespräch ge­gangen war. Ich versuchte, ein möglichst würdevolles Gesicht auf­zusetzen.
    »Oh Ellie - du bist so bekloppt ...«, keuchte Maike und hielt sich ihre linke Seite.
    »Warum denn das jetzt?«, fragte ich zickig und rieb nervös an den Grasflecken auf meiner Hose herum.
    »Du kommst hierher, schaust auf alles herab, ziehst dich an wie ein Model, sagst kein Wort zu niemand - ich meine, jeder von uns dachte, dass du das alles hier verabscheust und Köln das Paradies schlechthin sein muss. Und jetzt sagst du, es ist hässlich.«
    »Ich bin nicht so«, sagte ich leise. »Ich bin keine Modepuppe.«
    Maike überlegte kurz und streichelte das graue Kaninchen auf ihrem Schoß hinter seinen bebenden Ohren.
    »Das stimmt vielleicht«, erwiderte sie ebenso leise und das Lachen war aus ihrem Gesicht gewichen. Ungewohnt verschlossen schaute sie mich an. »Ich hab trotzdem keine Ahnung, was du bist.«
    Ich auch nicht, dachte ich müde. Weniger denn je. Nur eins wuss­te ich - dass es schön gewesen war, hier auf dem Boden herumzukriechen und mir meine Hose zu ruinieren. Schön, aber nicht meine Welt. Ein ähnliches Gefühl war es immer gewesen, wenn ich mich bei Ikea in eine der fertig eingerichteten Einzimmerwohnun­gen gesetzt und mir kurz vorgestellt hatte, es wäre meine. Aber ich war zu chaotisch, um eine Wohnung jemals auch nur für drei Stun­den in einem so mustergültigen, korrekten Zustand zu bewahren, und deshalb konnte ich es nicht genießen. Genauso wie ich jetzt plötzlich nur noch wegwollte und der Nachgeschmack der süßen Apfelpfannkuchen mir fast den Magen umdrehte.
    Um mich auf andere Gedanken zu bringen, beobachtete ich, wie Maikes Mutter sich vor ihre kleinste Tochter kniete und ihr be­sorgt ins Gesicht blickte. »Du bist ja ganz blass, mein Schatz«, sagte sie und strich ihr zwei Grashalme von der Schulter. Ich stutz­te. Die Szene kam mir merkwürdig vertraut vor, als hätte ich sie schon einmal gesehen - nein, als hätte ich sie selbst erlebt. Natür­lich - meine Ohnmacht. Das Gras auf meinen Kleidern. Die tote Libelle in meinem Haar. Genau so hatte Mama mich angeschaut, als ich zu spät von der Kneippanlage gekommen war. Ihr Streit mit Papa im Büro - und dann ihre seltsamen Fragen, nachdem ich geschlafwandelt war ...
    Hastig stand ich auf. Von wegen Immunität. Mama schien etwas ganz anderes zu denken. Hatte Papa mich etwa doch angefallen? Verwundert blickte Maike zu mir auf.
    »Ich fahr nach Hause. Du weißt schon, mein Vater.«
    Der Geruch nach gebratenem Fett und Pfannkuchen jagte eine neue Übelkeitswelle durch meinen Bauch. Ich musste hier weg und mit Mama sprechen, ehe Papa nach Hause kam.
    Maike begleitete mich noch zur Bushaltestelle. Als ich dort alleine wartete,

Weitere Kostenlose Bücher