Splitterherz
Tröstendes, Beruhigendes zu ihr sagen zu müssen, doch ich wusste nicht, was - schließlich hatte ich keine Ahnung, wie viel sie von Papas und meinem Gespräch wusste, geschweige denn, was Papa ihr über die Begegnung mit Colin erzählt hatte.
Sic seufzte leise in den Hörer. »Ich bin um vier zu Hause«, beschwichtigte ich sie, obwohl sie keine Zeit genannt oder gar eine frühe Heimkehr verlangt hatte. »Tschö, Mama.« Sie sagte nichts mehr und ich drückte die Verbindung weg.
»Bei mir haben sie dieses Theater wegen Benni gemacht«, schmunzelte Maike.
»Wegen Benni?«, fragte ich entgeistert. Im Vergleich zu Colin musste Benni doch der Traum aller Schwiegermütter sein. Außerdem war mir völlig entgangen, dass Maike an Benni interessiert war oder umgekehrt - doch halt, Moment, am Samstag hatte sie geradezu an der Bar geklebt.
»Ja.« Sie zuckte mit den Schultern. »Wir haben mal auf einem Waldfest geknutscht und irgendjemand hat’s gesehen und meinen Eltern erzählt. Sie meinten, Benni wäre zu umtriebig für mich. Aber in Wahrheit - ich glaube, sie wollen es generell nicht. Dass ich mit irgendjemand knutsche. Sie werden bei jedem einen Grund finden. Komm, lass uns fahren, ich hab Hunger.«
Ich setzte mich auf den Gepäckträger von Maikes Fahrrad. Schnaufend begann sie mit ihren strammen Waden in die Pedale zu treten. Der Himmel hatte aufgeklart und die Luft war spürbar wärmer geworden. Nur nicht an Colin denken, beschwor ich mich, als die grüne Landschaft an uns vorbeizog und die schwere Schultasche an meinen ohnehin schmerzenden Schultern zerrte. Jetzt bist du bei Maike, bei Maikes Familie, bei ganz normalen Menschen in einem ganz normalen Leben.
Es war tatsächlich so normal, dass ich am liebsten meinen Kopf auf die karierte Wachstuchtischdecke gelegt und zu weinen angefangen hätte. Maikes Papa war ein runder Kerl mit rundem Kopf und runden Augen, der schon um vier Uhr morgens zur Frühschicht aufbrach und nun Feierabend hatte. Er begrüßte mich mit einem warmen, festen Händedruck und einem strahlenden Lächeln. Sofort entspannten sich meine Schultern. »Setz dich doch«, sagte er und zeigte auf den Terrassentisch mit dem karierten Tischtuch. Ich rutschte auf die Holzbank, die mir einen schattigen Platz mit Rundblick in den idyllisch bewachsenen Garten bot. Weiter hinten ging der Garten in eine Wiese über. In der Ferne konnte ich Schafe grasen sehen und auf einem alten Holztisch, verwittert und von tiefen Furchen durchzogen, döste eine rote, dicke Katze.
Niemand stellte mir neugierige Fragen. Maikes Schwestern, drei Miniaturausgaben ihrer selbst, fanden es völlig normal, dass einer mehr am Tisch saß. Es war wahrscheinlich keine Seltenheit.
Maikes Mutter versorgte mich mit Limonade und stellte eine gigantische Platte voll dicker Pfannkuchen vor meine Nase.
»Greif zu!«, ermunterte sie mich. »Westerwälder Apfelpfannkuchen - gut für die Nerven.«
»Oh, das können wir gebrauchen«, stöhnte Maike theatralisch und belud ihren Teller.
»Warum denn?«, fragte ich lahm. Schon der erste Bissen erfüllte mich mit sonnigen Kindheitserinnerungen. Apfelpfannkuchen - die hatte ich das letzte Mal bei Oma im Odenwald gegessen.
»Ach, du. Für dich ist es ja ein Klacks. Kursarbeitswoche! Nächsten Montag, Donnerstag, Freitag. Wer hat das überhaupt erfunden - Kursarbeitswochen? Man muss sich doch nicht künstlich Stress machen.«
Ach ja. Das stimmte. Kursarbeitswoche. Auch das hatte ich vollkommen vergessen. Ich musste sehr unglücklich gucken, denn alle brachen in ein herzliches Lachen aus, Maikes Schwestern eingeschlossen.
»Sie schreibt nur Einsen«, sagte Maike. »Und trotzdem ziehst du so ein Gesicht.« Sie kicherte.
»Hmpf«, erwiderte ich nur und stopfte ein weiteres Stück tröstenden Apfelpfannkuchen in meinen Mund, während Maikes Vater mir anerkennend zuzwinkerte. Ich fühlte mich rundherum zuckrig und süß. Die nächsten beiden Stunden kroch ich auf Knien über die Wiese und rupfte Löwenzahn aus. Anfangs dachte ich noch an Zecken und all das, was ich darüber gelesen hatte, doch der Gedanke an eine Hirnhautentzündung konnte mich an diesem seltsamen Tag nicht mehr schrecken. Wennschon, dachte ich und zuckte seufzend mit den Schultern. Maikes eine kleine Schwester beobachtete mich dabei, grinste belustigt und entblößte eine entzückende Reihe Zahnlücken.
Mit erstaunlicher Kraft rissen die dicken Kaninchen das Unkraut aus meinen Händen, die
Weitere Kostenlose Bücher