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Splitterherz

Titel: Splitterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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Stechschritt. Ich sandte ein kurzes Stoßgebet in die Baumspitzen und folgte erleich­tert dem frisch geputzten Hintern von Mister X.
    Trotzdem hatte ich nicht das Gefühl, allein und unbeobachtet zu sein. Immer wieder glaubte ich, Schritte oder ein Rascheln hinter mir zu hören. Doch wenn ich anhielt und mich umdrehte, waren da nur der Wald und ein menschenleerer Pfad. Die untergehende Son­ne schien mir auf den Rücken und schickte mir meinen bizarr lan­gen Schatten voraus. Er sah zerbrechlich aus, so als könne er sich jeden Moment in nichts auflösen. Keine Spur mehr von mir.
    Ab und zu traf mich ein Hauch abendlicher Kühle auf Wangen und Armen. Ich bekam eine feine Gänsehaut, wollte meine Jacke aber nicht überziehen. Ich brauchte die Kühle, um meinen Herz­schlag zu beruhigen, der überall zu hören und zu fühlen war, in meinem Kopf, meiner Kehle, meinem Bauch.
    Vielleicht war es der einzige menschliche Herzschlag in diesem Wald.
    Von Weitem schon sah ich das glänzende schwarze Metall von Colins Wagen. Mister X trabte voraus und sprang geduckt auf die Motorhaube, um dort steif wie eine Galionsfigur hocken zu bleiben. Das Tor stand offen, doch das gesamte Haus wirkte unbelebt und viel zu still. Instinktiv zog ich meine Sandalen aus, damit meine Schritte auf dem Kies nicht knirschten. Ich wollte kein Geräusch von mir geben.
    Auf leisen Sohlen schlich ich zum Haus. Die Tür war nur ange­lehnt. Eine Falle? In Zeitlupe bewegte ich meine Hand nach vorne und schob sie Zentimeter für Zentimeter auf. Ihr Scharnier war gut geölt, sie quietschte nicht. Ein letzter Streifen rote Sonne fiel vor mir auf den Steinboden. Küche und Wohnzimmer waren leer. Niemand da. Auf Zehenspitzen trat ich ein und schaute um die Ecke. Das Fenster neben dem Sofa war weit geöffnet, sodass die würzige Abendluft durch den Raum wehte. Auf dem Sessel schliefen dicht aneinandergedrängt zwei Katzen. Sie stellten die Ohren in meine Richtung, regten sich aber nicht.
    Ratlos blieb ich stehen. Was sollte ich nun tun? In die anderen Räume gehen? Gab es überhaupt andere Räume? Aber ich hörte kein Geräusch, keinen einzigen Hinweis auf die Anwesenheit eines Menschen. Oder von etwas Menschenähnlichem.
    Die Stille flößte mir Ehrfurcht ein und lähmte mich. Ich konnte nur rückwärts gehen - und das tat ich auch. Schritt für Schritt be­wegte ich mich zurück nach draußen und lehnte die Tür wieder an.
    Und jetzt? Verschwinden? Oder warten?
    Da fiel mir der Holzstapel hinter dem Haus ein. Vielleicht war Colin ja dort - ein viel zu optimistischer Gedanke, denn nicht nur ich hätte ihn bereits gehört, er mich erst recht. Mein Mut sank, als ich um das Haus schritt und die Brennholzstapel samt Axt und Holzbock unberührt vorfand. Ich setzte mich auf einen Baum­stumpf und holte tief Luft. Meine Lungen schmerzten. Ich hatte of­fenbar die ganze Zeit vergessen, regelmäßig zu atmen. Meine nack­ten Füße waren vom Staub des Kieses weiß überpudert - Füße wie die einer Marmorstatue. Da saß ich nun hinter Colins Haus und lebte und war irgendwie sehr unzufrieden mit dem Ausgang meiner Expedition.
    Gerade wollte ich mich der bittersüßen Mischung aus Enttäu­schung und Erleichterung hingeben, als mich ein sonores Schnau­ben auffahren ließ. Wie ein schwarzer Todesbote brach Louis durch das Dickicht und nahm mir Licht. Die Sonnenstrahlen legten sich kranzförmig um seine schimmernde Silhouette. Seine Mähne muss­te kurz vorher noch geflochten gewesen sein. Lockig fiel sie über seinen muskulösen Hals, von dem Strahlenkranz der Sonne an ih­ren Spitzen mit feinsten Reflexen übersät. Trotz des Gegenlichts sah ich seine großen Augen schimmern.
    »Louis«, flüsterte ich leise und meine ganze Sehnsucht nach Colin brach durch. Ich hatte ihn so vermisst. Selbst meine Furcht vor Louis hatte ich vermisst, während ich fiebrig im Bett gelegen hatte und die Stunden nur zäh dahinkrochen.
    Langsam wandte er den Kopf zu mir, machte den Hals lang und schnoberte. Erkannte er mich? Berühren durfte ich ihn nicht, das war mir klar, und das hätte ich auch nie und nimmer freiwillig ge­tan, aber erkannte er meine Stimme?
    »Ich bin es, Louis. Ich tu dir nichts.« Wie lächerlich. Wenn jemand hier einem anderen etwas antun konnte, dann Louis mir. Ich roch die Wärme auf seinem Fell - ein wunderbarer, beruhigender Duft. Wie Colin es mir beigebracht hatte, schaute ich ihm nicht in die Augen, sondern ließ meinen Blick weich schweifen.
    Er schnaubte

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