Splitterherz
schnell, doch der Drang, mich an ihn zu lehnen, um endlich Halt zu finden, ließ meine Beine erstarren. Ich drückte meine Wange an Colins Hemd und griff Hilfe suchend nach seinem Arm. Meine Gedanken spielten hoffnungslos verrückt. Ich werde sterben. Jetzt und hier. Warum nur fliehe ich nicht?
»Ach, du dummes Huhn, du wirst doch heute nicht sterben«, lachte Colin leise und führte mich wie eine kranke alte Frau zu seinem Sofa. »Wer sagt denn, dass du sterben wirst - oder verwandelt. Was auch immer in deiner debilen Fantasie so vor sich geht.«
Er schob mich auf den großen Sessel, nachdem er die Katzen mit einem kurzen »Seht« vertrieben hatte, nahm die getigerte mit einer Hand hoch und legte sie mir auf den Schoß. Im Nu fing sie an zu treteln und laut wie ein Traktor zu schnurren. Wie von selbst begannen meine Hände, ihr zartes, weiches Fell zu streicheln.
Colin machte sich am Kamin zu schaffen, stapelte ordentlich Brennscheite aufeinander und entzündete in aller Seelenruhe ein behagliches Feuer. Der Holzrauch kitzelte in meiner Nase.
»Frierst du?«, fragte ich scheu und merkte, dass ich immer noch keine Gewalt über meine Stimme hatte.
»Nein, aber du. Die Nächte werden kühl nach so klaren Tagen wie heute, erst recht hier im Wald.« Meine Füße hatten sich tatsächlich in Frostbeulen verwandelt. Ich schob sie mir umständlich unter den Po. Die Katze hielt sich mit ihren scharfen Krallen an meinen Oberschenkeln fest, um bei diesem kleinen Erdbeben nicht herunterzufallen. Dabei schnurrte sie ununterbrochen weiter.
Neben uns streckte Louis seinen riesigen Kopf durchs Fenster und quiekte fordernd, als er Colin sah. Blind fasste Colin nach hinten und ließ sich von Louis die flache Hand abschlecken.
»Ein bisschen wie Pippi Langstrumpf für Erwachsene«, sprach ich meine Gedanken halblaut aus. Colin reagierte nicht, aber ich meinte, die Spur eines Lächelns in seinen Augen zu sehen.
Er klopfte sich die Hände an der Hose ab und nahm mir gegenüber Platz. Abwartend blickte er mich an, sagte jedoch nichts. Ich sollte also anfangen - womit? Es schien mir noch tausendmal schwieriger zu sein als in der Unterredung mit Papa. Ich fühlte mich benommen. Das Kaminfeuer knisterte und jagte grellrote Funken durch die Luft. Erste Wärmewellen trafen auf meine Haut. Ich erschauerte und schob die Füße etwas bequemer unter meinen Hintern.
»Kochst du öfter für andere?« Diese Frage war harmlos, fand ich, aber sie hatte mit allem zu tun. Die tägliche Ernährung war bei Nichtmenschen schließlich keine ganz einfache Angelegenheit. Vampire tranken Blut, Mahre raubten Träume, Elfen - ja, was aßen Elfen eigentlich? Oh nein, Colin, bitte sei kein Elf. Alles, nur kein Elf. Ich halte Elfen noch nie gemocht. Hysterische Vegetarier, die in viel zu kleinen Baumhäusern wohnten und immer nur hauchend sprachen.
»Hin und wieder. Wenn Kollegen zu Gast sind oder ein Stück Wild bringen. Aber sie bleiben nie lange. Sie fühlen sich unwohl in meiner Gegenwart, ohne es zu begreifen.«
»Isst du dann mit?«
»Den meisten Männern hier musst du nur genug Bier hinstellen und ihnen zeitig nachschenken, dann fällt ihnen Merkwürdiges kaum auf. Auch dass ihr Gastgeber nicht besonders gerne isst und trinkt - falls du das meinst. Nun frag schon, Ellie.«
»Ich muss erst aufs Klo.« Das war nicht geschwindelt. Meine Blase drohte zu platzen und ich hätte gerne gewusst, wie ich aussah nach all dem Schrecken und der Angst. »Hast du so etwas denn? Ich meine ...«
»Ich werde dich jetzt nicht in die Details meiner Verdauung einweihen, aber ja, ich habe ein Bad. Die Treppe hoch, dann die erste Tür links.«
»Also hast du eine Verdauung?«
»Ellie«, sagte Colin streng. »Wolltest du nicht...?« Er deutete nach oben.
»Okay«, murmelte ich beschämt, setzte die Katze auf den Boden und trat auf wackeligen Beinen in den kleinen Flur hinter dem Wohnbereich.
Auf der linken Seite führte eine alte Holzstiege in die oberen Räume. Das Bad war ein Designpalast - Teakholzboden, viereckiges Waschbecken, schillernde Armaturen und Schränke aus Edelholz. An der Tür hing Colins zerschlissener Karatekimono. Andächtig strich ich über den seidigen Stoff. Am liebsten hätte ich ihn mir übergezogen. Ich schaute mich weiter um.
Tatsächlich, es gab eine Toilette, eine Dusche, eine Badewanne und eine elektrische Zahnbürste. Was fehlte, waren Kamm, Bürste und Föhn, aber das konnte ich inzwischen nachfühlen.
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