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Splitterherz

Titel: Splitterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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wieder, diesmal leiser und gelassener. Wenn Louis hier war, musste Colin auch da sein. Niemals würde er ihn frei ste­hen lassen, ohne dass er in der Nähe war. Dazu war dieses Pferd einfach zu wertvoll.
    Vielleicht war er doch im Haus. Unendlich langsam stemmte ich meine Beine in den Boden und richtete mich auf. Louis blieb ruhig stehen, doch ich spürte, dass mir seine schwarzen Blicke folgten. Mit möglichst fließenden Bewegungen ging ich zurück zur Haustür. Jetzt zitterten meine Knie und einen Moment lang glaubte ich, mich hinsetzen zu müssen. Doch die Schwäche verflog so schnell, wie sie gekommen war.
    Wieder trat ich ins Haus und wieder überfiel mich dieses un­erklärliche Bedürfnis, mich leise zu verhalten. Ich ging ins Wohn­zimmer, stellte mich mitten in den Raum und lauschte. Nein, ich hörte nichts außer dem entfernten Kreischen der Schwalben und ersten vorsichtigen Zirpversuchen der Grillen. Aber da war etwas. Ich konnte es weder hören noch riechen noch sehen - ich fühlte es in meinem Nacken. Es kam von oben.
    Ich blickte an die Zimmerdecke und taumelte keuchend rück­wärts, bis der kühle Lederbezug des Sofas mich stoppte. Szenen aus Papas Erzählungen schossen mir durch den Kopf - gepackt, von hinten ... der Biss - der Kampf...
    Colin hing rücklings an der Decke, flach wie ein Fallschirmsprin­ger. Die Ärmel seines weißen, dünnen Hemdes schwangen im Luft­zug des Abendwindes, aber seine Haare hatten sich um sein Gesicht herum in schwarzen Schlangen an den rauen Verputz der Decke ge­schmiegt; ein dunkler, glänzender Heiligenschein.
    Seine Augen waren geschlossen und ich erkannte deutlich die Schatten seiner gebogenen Wimpern auf seinen Wangen. Sein Mund war weich und träumerisch - er hatte das Gesicht eines Engels. Rein und unschuldig. Träumte ich? War das eine meiner Fiebervisionen, die mich gequält hatten? Es musste so sein, denn so etwas gab es nicht... Das konnte einfach nicht sein ...
    Ich kniff die Augen zu, so fest, dass ich Blitze vor meinen ge­schlossenen Lidern sah.
    »Hey!«
    Ich riss sie wieder auf. Colin stand direkt neben mir und grinste mich an.
    »Da bist du ja.«
    Seine Haut war von winzigen bronzenen Sprenkeln übersät. Man­che verschwanden innerhalb von Sekunden, als er aus der roten Sonne in den Schatten trat. Seine Augen hatten ein dunkles, weiches Grün, durchsetzt mit letzten eisblauen Sprenkeln. Die Haare be­wegten sich leicht, wie Seegras in der Dünung des Meeres, und sie taten es auch dann, wenn der Wind nicht durch das Fenster ström­te.
    Ich konnte nicht einmal Hallo sagen. Gar nichts. Ich schaute ihn minutenlang nur an und er schaute mich an.
    »Wow«, brummte er schließlich anerkennend und zog an einer meiner rebellierenden Haarsträhnen. »Deine Zorneslocke ist zu­rück.«
    Ich fasste mir verwirrt an meinen Wirbel über der Stirn.
    »Ich hab sie von meinem Vater bekommen«, sagte ich seufzend.
    »Das ist doch gut«, entgegnete Colin. »Ich habe von meinem nur blaue Flecken und ein gebrochenes Jochbein bekommen.«
    Ich zuckte zusammen und blickte ihn fragend an. Doch Colin war immer noch mit meinem Gesicht beschäftigt.
    »Und endlich hast du Augenbrauen. Ja, das bist du«, stellte er zu­frieden fest.
    »Was ...« Ich musste mich räuspern, um weitersprechen zu kön­nen. »Was war das eben - das da oben an der Decke?«
    Wenn ich träumte - und so fühlte es sich an -, war es sowieso egal, was ich fragte. Wenn nicht...
    »Entspannung«, antwortete Colin mit undurchdringlicher Miene. »Ich hatte dir doch gesagt: in Zukunft öfter mal nach oben schau­en.«
    »Hast du mich erwartet? Zum Abendessen?«, fragte ich vorsichtig und bewusst doppeldeutig weiter.
    »Zum Abendessen oder als Abendessen?«, entgegnete er mit  ei­nem diabolischen Lächeln und mich ergriff eine Panik, wie ich sie vorher nicht gekannt hatte. Mir trat der kalte Schweiß auf die Stirn.
    »Ellie - es ist alles gut«, sagte er beruhigend und sofort löste sich der eisige Griff der Todesangst. »Ich habe mit dir gerechnet - jeden Tag oder nie. Aber ich hatte dabei keine Erwartungen. Höchstens Befürchtungen.«
    Ich fand meine Sprache wieder. »Mein Vater ... er wollte mich davon abhalten. Und er hat gesagt...«
    »Später«, unterbrach Colin mich. »Du hast Hunger und du warst krank. Du musst etwas essen.«
    Stimmt. Mein Magen war so leer, dass er bereits bohrend gegen meine Rippen drückte. Ich nickte nur.
    »Ich hab ein frisches Reh im Keller. Genau richtig. Ich habe es

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