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Splitterherz

Titel: Splitterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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wissen. Je­denfalls nicht jetzt. Dass ich, ohne es zu bemerken, seine Erinne­rungen streifte, war nach meinem Geschmack schon genug des Kontrollverlusts.
    Plötzlich lächelte Colin und das Schimmern kehrte in seine Augen zurück. Ich konnte mich kaum daran sattsehen.
    »Und - fandest du mich als Baby auch so abscheulich, wie meine Eltern es taten? Und Furcht einflößend?« Er fragte es betont hu­morvoll, doch in seiner Stimme schlummerte tiefer Ernst.
    »Nicht abscheulicher als sonst auch«, sagte ich locker. »Nein, so ein Quatsch. Du warst ein Baby. Ein Baby! Wie haben sie dich nur da oben liegen lassen können?«
    Colin fuhr sich mit dem Finger nachdenklich über seinen Nasen­rücken.
    »Weißt du, ich sehe dieses Bild noch oft vor mir. Es taucht einfach auf, bei den unterschiedlichsten Gelegenheiten, und ich kann nichts dagegen tun. Plötzlich sehe ich mich. Ich in diesem verrotteten, kal­ten Futtertrog. Wie ich aus dem Fenster starre. Wie meine Mutter mich von sich schiebt. Wie sie mich ablehnt und fürchtet. Vielleicht eine Wirkung von Tessas Gift, mit dem sic mich daran erinnern will, wer ich bin. Aber dass du mich auch gesehen hast und dir Gedanken machtest, keine Angst vor mir hattest - das ändert es irgendwie. Das lässt es mich leichter ertragen«, sagte er wie zu sich selbst. Ich hatte einen Kloß im Hals.
    »Aber in den vergangenen zwei Wochen ist es nicht mehr gesche­hen. Ich habe nichts mehr von dir gesehen oder wahrgenommen«, sagte ich.
    »Nein. Ich habe versucht, deine Gedanken von mir fernzuhalten. Und meine eigenen von dir sowieso. Aber wie gesagt - du bist zäher, als ich ahnte. Chapeau!«
    Colin machte eine kleine Verbeugung und grinste mich dabei so unverfroren an, dass ich lachen musste. Es tat gut. Doch als sich meine Wut und Furcht endgültig legten, verschwand auch meine Kraft. Ich fühlte mich butterweich, durchgekocht, erhitzt, ermattet. Colin stand auf, lief zur Spüle, durchfeuchtete eines seiner weißen Handtücher und legte es mir behutsam um den Nacken. Seine küh­le Hand berührte meine Stirn.
    »Bekommst du wieder Fieber?«
    »Ich weiß es nicht. Willst du das denn?«, fragte ich bissig. Ich drückte mir einen Zipfel des Handtuchs gegen die Schläfe.
    »Du überschätzt mich. Ich habe lediglich deine Abwehr ge­schwächt und deine Freundin Maike - na ja. Beeinflusst. Wir wit­tern ansteckende Keime.« Igitt. Maikes Taschentuch an meinem
    Mund. Natürlich. Deshalb auch Colins finsterer Blick in Maikes Richtung - er hatte sie dazu gebracht, das zu tun.
    »Den Rest hast du selbst erledigt«, sagte Colin achselzuckend und deutete auf meinen Bauch. »Ich hätte dir gerne gesagt, dass du dir gefälligst die Pferdedecke umhängen sollst. Aber das wäre kontra­produktiv gewesen, in jeder Hinsicht. Warum müssen Frauen heute eigentlich allen Menschen ihren nackten Bauch zeigen und ihre Au­genbrauen verleugnen? Kannst du mir das erklären?«
    »Ahm - nein.« Klammheimlich sah ich an mir herunter. Gut, kei­ne Hüfthose, kein freier Nabel. »Es ist eben so.«
    »Und du magst es eigentlich gar nicht.«
    »Hmpf.« Volltreffer. Es hatte Monate gedauert, bis ich mich mit dem ständigen Luftzug um meinen Bauchnabel herum abgefunden hatte, und selbst dann beschlich mich immer wieder das ungute Gefühl, meine Hose beim Laufen zu verlieren. Andererseits waren das angesichts der Tatsache, einem Nachtmahr gegenüberzusitzen, der Spinnen Befehle erteilen konnte, verdammt banale Angelegen­heiten.
    Auf einmal wurde mir alles zu viel.
    »Oh Gott, Colin, ich kann nicht mehr. Ich will noch so viel fragen, aber es geht einfach nicht mehr ... Es ist alles so - so durcheinander in meinem Kopf«, stöhnte ich und rieb mir meine brennenden Augen. »Mein Vater hat mir erzählt, wie er befallen wurde und was ein Halbblut ist, aber - es ist so verworren.«
    »Über deinen Vater reden wir ein anderes Mal. Er wird dir nicht alles gesagt haben. Aber ich bin mir sicher, dass er dir und euch nichts tun wird. Im Moment ist er ja sowieso nicht da.«
    »Woher weißt du das?«, fragte ich verblüfft.
    »Auch das erkläre ich dir irgendwann noch.« Ich ahnte, dass es schwer sein würde, sich in diesem Punkt gegen einen 158-jährigen Traumräuber durchzusetzen, der zwei Weltkriege erlebt und wahr­scheinlich die halbe Welt bereist hatte. Vermutlich würde ich auch bei guter Gesundheit nicht lange genug leben, um jemals alles zu erfahren.
    »Bedeutet das, ich muss jetzt gehen?«
    Colin atmete lachend aus, aber ich

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