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Splitterherz

Titel: Splitterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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befremdlich und eigen und sagen, ich sei ein komischer Kauz. Das ist alles. Sie sehen nichts. Wahrscheinlich wollen sie nichts sehen. Es ist ja auch einfacher. Du aber - du siehst mehr.«
    »Und ich hasse es«, sagte ich leidenschaftlich.
    »Tust du nicht«, widersprach Colin. »Ich beneide dich um dein Menschsein. Deine Sterblichkeit.«
    Wir schwiegen. Mein Kopf glühte. Ich schloss genüsslich die Au­gen, als ein Hauch kühler Luft die Kerzenflammen zum Zittern brachte und meine Stirn streifte.
    »Hast du nie - warst du nie in Gefahr, den Pferden etwas zu tun?«
    »Nein. Niemals. Pferde sind Fluchttiere, sie schlafen und träumen kaum. Und wenn, sind es kurze, panische Träume, die nicht sättigen können.« Colin schaute zu Louis hinüber. Sein Blick wurde zärtlich, bevor sich seine Augen wieder verschleierten. »Außer den Pferden ist mir von früher nichts geblieben. Die Jahrzehnte ziehen an dir vorüber und irgendwann stehst du heimlich am Grab der Kinder deiner Geschwister. Ich habe meine Eltern nie wiedergesehen. Sie waren dankbar, dass ich endlich fort war. Also gab es nichts mehr, nur die Pferde. Und wenn ich auf Louis reite, wird mein Körper nach einigen Minuten warm, ohne dass ich einen Raub begehen muss - fast wie früher. Er schenkt mir seine Wärme. Und sie hält an, ein, zwei Stunden.«
    Ich konnte nicht verhindern, dass mir eine Träne über die Wange lief. Colin witterte sie, beugte sich langsam vor, streifte sie mit dem Finger ab und aß sie. Ich erbebte leicht.
    »Was ist die Metamorphose - die Bluttaufe?«
    »Du lässt all deine Gefühle und Träume aufsaugen. Das ist die Bluttaufe. Eigentlich ist es pure Hingabe. Ich hatte nichts, was mich im Diesseits halten konnte. Keinen Anker. Meine Familie war nie eine Familie gewesen, ich hatte keine Frau, keine Kinder. Nur die Pferde. Und an sie dachte ich in dem Moment nicht. Sie waren zu selbstverständlich für mich, fürchte ich. Das war mein Fehler. Aber als die Verwandlung einsetzte, wehrte ich mich. Es ist nicht unange­nehm, das nicht. Du siehst besser, hörst besser, alles ist schwerelos, weil du eine unglaubliche Kraft und Energie bekommst. Aber Ali­sha ...«
    Colins Stimme brach. Er hatte sie nie vergessen. Dieses Pferd war längst tot und er fühlte sich immer noch schuldig.
    »Wie funktioniert das eigentlich genau, wenn ein Cambion ge­zeugt wird?«, wechselte ich das Thema.
    »Ich kam ganz normal zur Welt - wie alle Kinder. Wahrscheinlich war meine Mutter zuerst auch ganz normal schwanger. Von meinem Vater.« Er redete von seinen Eltern wie von Fremden, als habe er sie nie gekannt. Mir fiel ein, was er vorhin von seinem Vater erzählt hatte. Blaue Flecken und ein gebrochenes Jochbein. Er musste Colin verprügelt haben. Und wahrscheinlich nicht nur einmal.
    »Tessa hat meine Mutter in ihrer empfindsamsten Phase angefal­len, in den ersten Wochen ihrer Schwangerschaft. Es ist der nieder­trächtigste Weg, einen Nachtmahr zu erschaffen, aber auch der si­cherste. Du siehst ja - bei deinem Vater hat es nicht geklappt.«
    »Tessa?«, fragte ich irritiert nach. »Hast du nicht gesagt, sie kam zu dir, als du schon Stallmeister warst ?«
    »Sie kam zurück, um es zu vollenden. Das können sie erst, wenn das Opfer geschlechtsreif ist - und möglichst einsam dazu. Es ver­schafft ihnen Lust, darauf zu warten.«
    Ich errötete. »Dann warst du also vor Tessas Wiederkehr ein Mensch?«
    »Nur scheinbar. Das Dämonische schlummerte schon in mir und das spürten meine Eltern und Geschwister. Alle spürten es. Nur die Tiere begegneten mir ohne Argwohn. Vielleicht auch, weil sie merk­ten, wie einsam ich war. Aber mein Blut war noch warm und ich aß und trank wie ein Mensch.«
    Ich wollte fragen, was genau das Dämonische in ihm gewesen sei, doch sein gequälter Blick hielt mich zurück.
    »Lass mich einfach erzählen, Ellie«, sagte er eindringlich. »Es ist schwer genug, sich zu erinnern.«
    Ertappt senkte ich den Kopf. Vielleicht hatte er noch nie von all dem gesprochen. War ich die Erste, der er sich anvertraute? Doch ich fühlte mich alleine, wenn ich nicht in seine Augen sah, also suchte ich sie wieder. Ein schmerzlicher Ausdruck verdunkelte sein Gesicht.
    »Meine Mutter war eine ängstliche, abergläubische Frau und sehr haltlos. Sie gehorchte immer nur anderen, hatte keine eigene Mei­nung. Von meinem Vater ließ sie sich prügeln, ohne sich auch nur ein einziges Mal zu beklagen. Sie war empfänglich, weil sie schwach war. Tessas Gift ging auf

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