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Splitterherz

Titel: Splitterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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gedacht; Nicole und Jenny an heiße Partys und lange Clubnächte. Und aus irgendeiner geistigen Umnachtung he­raus hatte ich zugestimmt, weil ich endlich mal in einem warmen, sonnigen Land Urlaub machen wollte.
    »Warum habe ich dich im Traum von oben gesehen?« Ah, Moment. »Warum hab ich nicht von Tessa und dir geträumt? Ich wollte doch wissen, was genau passiert ist!«
    »Ich glaube, das wird nichts«, sagte ich matt zu Jenny, die aufgeregt in den Hörer schnaufte. Ich konnte doch jetzt nicht verreisen. Auf gar keinen Fall. Und wenn ich ehrlich war, dann wollte ich es auch nicht mehr.
    »Ich hab Hausarrest«, fügte ich erklärend hinzu. Das stimmte im­merhin, selbst wenn es der wohl inkonsequenteste Hausarrest aller Zeiten gewesen war.
    »Du - du hast Hausarrest?« Jenny lachte in den Hörer. Im Hinter­grund hörte ich Nicole etwas fragen, unterbrochen von dem nervi­gen Geräusch eines anfahrenden Autos und aggressivem Hupen.
    Jetzt übernahm Nicole die Regie.
    »Komm, erzähl keinen Mist, das ist doch gar nicht wahr. Unsere Eltern haben schon miteinander gesprochen und dein Paps hat wie immer nichts dagegen. Stell dich nicht so an. Das wird super!«
    Unsere Eltern hatten miteinander geredet? Wie schön, dass ich als Letzte davon erfuhr. Das war ja wie im Kindergarten.
    »Hallo?«, rief ich in den Hörer und raschelte laut mit dem bekrit­zelten Papier. »Nicole? Jenny? Ich glaube, ich habe eine Störung ...«
    Ich trat vom Fenster weg in die Zimmermitte und die erlogene Störung ging nahtlos in ein echtes Funkloch über. Zufrieden legte ich auf und schaltete das Handy aus. Die plötzliche Ruhe war über­wältigend.
    Mit Zettel und Kuli bewaffnet zog ich mich wieder in mein Bett zurück und kuschelte meine nackten Zehen an Mister X’ weiches Knisterfell. Ich spürte, wie er sich unter der Decke mit einem tiefen, kätzischen Seufzer langmachte.
    Es war unmöglich, mit Mister X im Bett zu liegen und nicht an Colin zu denken. Ich hatte lange und fest geschlafen - viel länger als die gesamten Wochen seit unserer Ankunft - und ich hatte mich seit Tagen nicht mehr so klar im Kopf gefühlt. Trotzdem musste ich mir meine Fragen aufschreiben. Es waren so viele. Und ich wollte sie alle noch stellen, nach und nach.
    Ich solle mir Zeit lassen mit einem Wiedersehen, hatte Colin zum Abschied gesagt. Und - meine Stimmung verdüsterte sich jäh - ich solle mit meinem Vater reden. Ihm die Wahrheit sagen. Genauso gut könnte ich die apokalyptischen Reiter zu einem geselligen Stell­dichein mit Kaffee und Kuchen bitten, dachte ich entmutigt.
    Wenn Papa schon bei der Begegnung mit Colin so drohend und gefährlich wütend geworden war, wie würde es dann erst sein, wenn er erfuhr, dass ich mich seinen Verboten widersetzt hatte? Ob er dazu fähig war, mir etwas anzutun? Nun, wenn ich Colin glauben konnte - und das tat ich -, dann hatte ich Papa zu Unrecht ver­dächtigt, mir die Spinnen, den Schlaf und die Windpocken geschickt zu haben. Trotzdem. Papa konnte ja nicht ahnen, dass Colin keiner von jenen Mahren war, die das Wissen der Menschen um ihre Exis­tenz mit diversen Vernichtungsaktionen belohnten. Es bestand also keine direkte Gefahr, weder für mich noch für Mama oder Papa noch für - für Paul? Was, wenn Paul inzwischen jemandem von Papas Geschichte erzählt hatte? Ich hatte keine Ahnung, wie viele Mahre es auf dieser Welt gab, doch in einer Großstadt wie Hamburg waren es bestimmt mehr als hier auf dem Land. Paul war immer sehr offen gewesen und hatte sich nie gescheut, von sich und seiner Familie zu sprechen. Sicher hatte Papa auch ihm den Schwur abge­nommen. Aber Paul war nach wie vor der festen Meinung, der gan­ze Mahrkram sei eine Ausgeburt von Papas beginnendem Realitäts­verlust. Warum sollte er sich dann an einen solchen Schwur halten?
    Ich trat zurück ans Fenster und wählte schweren Herzens Pauls Nummer. Als er endlich abnahm, hörte er sich übernächtigt an und seine Stimme war belegt.
    »Ellie. Ich habe dir doch gesagt, dass das alles...«
    »Nein, Paul. Er hat es mir jetzt doch erzählt. Diesen ganzen Mist von wegen Mahr und Halbblut und gebissen werden. Was ist nur mit ihm los?« Klang meine Stimme normal? Das musste sie, denn sonst würde mein Vorhaben nicht funktionieren.
    »Oje«, seufzte Paul. Er schwieg kurz. »Und wie geht es dir da­mit?«
    »Na ja«, seufzte ich zurück. »Das Schlimme ist ja, dass Mama ihm glaubt. Und ich will mich da nicht einmischen. Ich mache hier nur mein Abi und dann

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