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Splitterherz

Titel: Splitterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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sah, dass ich nicht verkehrt lag.
    »Es wäre besser.«
    »Colin, nein, bitte, ich will hierbleiben heute Nacht. Ich kann nicht wieder weg und das Gefühl haben, dich danach nie wieder­zusehen ...«
    Himmel. Ich bettelte einen Greis an, bei ihm übernachten zu dür­fen. Ich erinnerte mich an die bisher einzige Nacht, die ich mit ei­nem männlichen Wesen in einem Bett verbracht hatte - auf einer Party. Mit Andi. Es war eine erschöpfende, nervenaufreibende Nacht gewesen, weil ich nie wusste, wie ich mich hinlegen sollte, mir sein ummantelnder Arm fast den Nacken brach, er mir ins Ohr schnarch­te und eine Wärme ausstrahlte wie ein außer Takt geratener Heiß­luftofen. Schön war das nicht gewesen. Und jetzt - jetzt wollte ich unbedingt bleiben, weil es mir absurderweise sicherer erschien. Ich würde meinetwegen hier unten bei den Katzen auf dem Sofa blei­ben, von mir aus auch auf dem Küchenfußboden.
    »Nein, Ellie. Das geht nicht. Ich habe noch nicht gegessen. Und es ist gut möglich, dass du heute Nacht schöne Träume hast, die du dringend brauchst.« Er sah hungrig aus, als er das sagte.
    »Ah«, krächzte ich. Meine Kehle wurde eng. Colin wirkte immer noch ausgeruht, doch es begannen sich dunkle Schatten unter sei­nen Augen zu bilden und seine Wangen leuchteten weiß aus dem warmen Halbdämmer des Zimmers heraus.
    »Ich dachte, du wusstest, dass ich kommen würde«, sagte ich vor­wurfsvoll.
    »Ich wusste es auch. Aber nie hätte ich gedacht, dass du bleibst.«
    »Ich vertraue dir, Colin«, sagte ich ernst und schaute ihm direkt in seine nachtschwarzen Augen. Seine Züge erhellten sich und ein Aus­druck huschte über sein Gesicht, den ich noch nie zuvor gesehen hatte. Ich glaube, es war so etwas wie Glück. Doch schon war es wieder verschwunden und sein Mund verhärtete sich.
    »Du musst mir etwas versprechen, Ellie.«
    Oh. Schon wieder ein Versprechen.
    »Sag deinem Vater die Wahrheit. Sag, dass du hier warst.«
    »Das kann ich nicht!«
    »Doch. Du kannst. Du musst es tun. Dein Vater ist nicht ganz un­wichtig in diesem Spiel. Sag es ihm. Und lass dir Zeit, bevor du wie­derkommst. Denke in Ruhe über alles nach. Und jetzt geh nach Hause.« Colin erhob sich.
    Der hypnotische Klang in seiner reinen, samtenen Stimme mach­te mich mürbe. Ohne daran zu glauben, dass es klappen würde, fügte ich mich - ja, ich würde es Papa sagen. Ich versprach es.
    »Eines noch, Colin«, bat ich ihn und stand auf.
    »Madame wünschen?«, fragte er so süffisant, dass ich ihn mit mei­nen nackten Zehen ans Schienbein zu treten versuchte. Er wich ge­schickt aus und hielt locker mein Bein fest, sodass ich eine geschla­gene Minute lang mit ausgebreiteten Armen im Kreis herumhüpfte, um nicht hinzufallen. »Guter Gleichgewichtssinn«, sagte er trocken, als er mich wieder losgelassen hatte. Er versuchte abzulenken. Das kannte ich ja schon.
    »Fünf Jahre Ballett«, erklärte ich huldvoll. »Und ich möchte wis­sen, wie das mit Tessa war. Ich - ich will es sehen.« Verstand er, was ich meinte? Er schaute mich lange an, als wolle er meine Seele durchleuchten. Aber ich hielt stand und schob die Eifersucht weg, die mich jedes Mal packte, wenn ich den Namen Tessa hörte oder aussprach.
    »Komm her«, sagte er. Ich trat auf ihn zu. Er nahm meinen Kopf und drückte seine Stirn sanft gegen meine. Seine kühle, glatte Haut verströmte einen verstörenden Duft. Nach Katzenfell, Kiefernna­deln, Heu, Kaminrauch, Pferd, Leder - und da war noch etwas, was ich noch nie in meinem Leben gerochen hatte. Es roch so gut, dass ich mindestens bis zum Jüngsten Gericht so stehen bleiben wollte. Seine langen Wimpern kitzelten meine Augenbrauen. Dann gab es eine kleine, heftige Erschütterung in meinem Kopf - und ich fand mich draußen wieder, auf dem Kiesweg vor dem Haus, Colin dicht hinter mir, Mister X vor mir, und ich hätte so gerne noch irgend­etwas Kluges, Bedeutungsvolles gesagt oder getan. Meine Fragen aber waren wie weggewischt.
    »Lauf«, flüsterte Colin. Bläuliche Nebelschwaden glitten gespens­tisch über den weichen Waldboden und verschluckten meine Füße, sodass ich das Gefühl hatte zu schweben. Kurz vor meiner Haustür machte Mister X schnurrend kehrt. Müde schloss ich auf, zerknüllte den Zettel für meine Eltern und zündete ihn mit Papas Feuerzeug an, bis nur noch Asche übrig war.
    Auf den letzten Treppenstufen kam mir das Gewicht meines Kör­pers kaum mehr tragbar vor. Ich schlüpfte aus meinen nach Kamin­rauch

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