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Splitterherz

Titel: Splitterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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...«
    »Dann geh am besten auch weg von ihnen. Das hält man ja nicht aus.« Warum hörte sich Pauls Stimme so traurig an, wenn er doch in Hamburg ohne uns so zufrieden und glücklich war?
    »Du, Paul - ich weiß, das ist alles ziemlich beknackt, aber Papa hat hier eine wichtige Position und die sollte er nicht verlieren, schon Mama zuliebe. Es wäre besser, wenn niemand etwas von seinen Hirngespinsten erfährt.« Sorry, Papa, dachte ich schuldbewusst. »Also, ich erzähle keinem davon. Ist mir auch echt peinlich.«
    Paul lachte leise. »Was glaubst du, wie unangenehm mir das ist? Mein Vater, der erfolgreiche Psychiater, und dann dreht er selbst am Rad. Nein, ich hab das niemandem gesagt. Und Lilly hätte mir so­wieso nicht geglaubt. Sie war ja völlig verrückt nach ihm.« In Pauls Stimme war eine Härte gekrochen, die mir selbst wehtat.
    »Okay, Paul, dann ...« Dann? Er musste jetzt denken, dass wir in einem Boot saßen. Vielleicht wäre er sogar bereit, öfter mit mir zu reden - über unseren bekloppten Vater und unsere arme, hintergangene Mutter. Aber nun musste ich mich von ihm zurückziehen. »Mach’s gut - und bitte erzähl es niemandem«, bat ich ihn und legte auf, bevor meine zitternde Stimme mich verraten konnte.
    »Er ist nicht verrückt«, flüsterte ich unter Tränen und starrte mein Handy an. Ich kam mir scheußlich vor. Aber Paul hätte mir nicht geglaubt. Ich hatte lügen müssen, um ihn zu schützen. Er war mein Bruder, auch wenn ich nicht mehr wusste, wie er überhaupt aussah. Er hatte seit Jahren kein Foto mehr geschickt. Vielleicht wollte er Papa damit strafen. Ich bettete mein Gesicht in meine Hände und wartete, bis ich wieder ruhiger atmen konnte. Ich hatte den Tag für mich alleine - und es waren Sommerferien. Noch sechs Wochen lang. Auf einmal bereitete mir der Gedanke an so unfassbar viel freie Zeit keine Sorgen mehr, denn es gab viel zu tun. Und viel zu forschen.
    In Papas Büro war ich gestern nicht weitergekommen. Aber es musste hier im Haus irgendwelche Unterlagen zu diesem ganzen Traumjägerkram geben. Ganz bestimmt würde Papa so geheimes Material nicht in der Klinik liegen lassen. Aber eventuelle Akten oder Unterlagen im Büro frei zugänglich zu lagern, war wohl auch zu einfach - zumal Papa sicher geahnt hatte, dass ich danach suchen würde.
    Mister X robbte unter der Decke hervor, gähnte mir herzhaft sei­nen Fischatem ins Gesicht und stahl sich durch das geöffnete Fenster davon. Leichtfüßig balancierte er über den Dachfirst, um dann mit einem graziösen Sprung auf die Garage überzusetzen.
    Ich drückte meine Nase noch einmal in Colins weiche Kapuzenjacke. Dann zog ich mich an und machte mir ein schnelles Frühstück. Der Kaffee war fast leer. Ich musste kurz überlegen und klappte rat­los die Küchenschränke auf und zu, bis mir einfiel, dass Mama die Vorräte neuerdings im Keller lagerte. Und ich hasste Keller. Diesen hier erst recht - er war dunkel und modrig und ich war überzeugt davon, dass sich dort unten seit Generationen dicke, fette Spinnen munter fortpflanzten. Schon direkt nach unserem Einzug hatte ich mich geweigert hinunterzugehen, wann immer meine Eltern ir­gendeinen kellertechnischen Auftrag für mich hatten. Und derer gab es viele, wenn man gerade umgezogen war.
    Natürlich - der Keller, fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Warum war ich nicht früher darauf gekommen? Falls es in diesem Haus irgendein Versteck für Papas geheime Unterlagen gab (Unterlagen von einem geheimen Job, der so geheim war, dass nicht einmal Colin mir davon erzählen wollte), dann dort. Dort musste der restliche Inhalt jener Kisten lagern, die der Lkw mitten in der Nacht geliefert hatte. Denn auf dem Dachboden wohnte schließlich ich.
    Mein morgendliches Wohlgefühl bekam seinen zweiten Dämpfer. Die Aussicht, mich länger als drei Minuten da unten aufhalten zu müssen, war ernüchternd. Ja, ich hatte diese Spinnenarmee in mei­nem Zimmer angebrüllt und war drauf und dran gewesen, mich von ihnen zu einem menschengroßen Kokon einspinnen zu lassen. Aber das bedeutete noch lange nicht, dass mein Ekel verschwunden war. Kurz überlegte ich, ob ich Nicole und Jenny nicht doch hätte Zusagen sollen. Es war so verlockend einfach. Eine Woche Ibiza, ba­den im Meer, blauer Himmel, weit weg von den Eltern und der Schule und all den Landeiern. Aber auch krachend laute Diskothe­ken, der ständige Druck, fröhlich und ausgelassen zu sein, dazu vielleicht irgendwelche aufdringliche Typen,

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