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Splitterherz

Titel: Splitterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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zu lügen.
    »Ich habe ihn wiedergesehen, Papa. Colin. Ich war bei ihm. Und wie du siehst, lebe ich noch.« Ich machte einen kleinen, mustergül­tigen Knicks.
    Er regte sich nicht. Ich hörte nicht einmal seinen Atem. Bange Sekunden verstrichen. Was würde er tun? Mama war noch nicht zu­rück und eigentlich hätte auch Papa noch nicht wieder da sein sollen. Würde er mich verprügeln? Mein Vater hatte nie Hand an mich gelegt, aber ich hatte ihm bisher auch keinen Grund dazu gegeben.
    Doch jetzt? Ich kämpfte die aufsteigende Angst hinunter, hob die Taschenlampe und leuchtete ihm mitten ins Gesicht. Seine Augen waren blutrot geädert. Das konnte ich noch erkennen, bevor er den Arm abwehrend vor sein Gesicht schob.
    »Lass das, Elisabeth. Ich bin schneeblind. Diese verdammte Son­ne«, fluchte er. Schneeblind? Wie hatte er dann so lautlos hier he­runtergefunden, ohne zu fallen oder zu stolpern?
    Ich bewegte die Lampe nur wenige Zentimeter weit nach unten.
    Papa lief auf mich zu und riss sie mir aus der Hand. Erschrocken keuchte ich auf. Er packte mich fest am Arm.
    »Komm mit«, sagte er kalt und zerrte mich von der Truhe weg. Es hatte keinen Zweck, mich zu wehren. Mein Vater war mir um ein Vielfaches überlegen. Seine akute Blindheit konnte daran nicht viel ändern.
    Oben stieß er mich in sein Büro.
    »Hier bleibst du, bis Mia zurück ist.« Oh nein. Mama. Das schlech­te Gewissen trieb mir die Tränen in die Augen. Sie musste denken, dass ich ihre Gutgläubigkeit ausgenutzt hatte. Papa verschwand wortlos und schloss die Tür zweimal ab.
    Anderthalb Stunden später war es so weit.
    Die ganze Zeit hatte ich bewegungslos auf dem Sofa gekauert, un­willig, auch nur irgendetwas zu tun. Ich fand es würdelos, hier eingesperrt zu werden wie ein unartiges Kind. Jetzt hätte ich ungestört in Papas Büchern lesen können, doch mir fehlte jeglicher Antrieb dafür. Ich würde ja doch nichts linden, was mir weiterhalf - und schon gar nicht aus dieser verfahrenen Situation.
    Nun saß ich ihnen im Wintergarten gegenüber. Papa trug eine Sonnenbrille und so blieb mir nur, Mama in die Augen zu sehen, die mich moosgrün und fragend anblickten. Sie wusste also noch nichts.
    »Sie war bei ihm«, sagte Papa schlicht. Mama schüttelte ungläu­big den Kopf.
    »Aber ...«, begann sie zweifelnd.
    »Doch, er hat schon recht. Ich war bei ihm. Und jetzt? Wollt ihr mich einsperren? Mich Tag und Nacht kontrollieren? Mich irgend­wo anketten?«, fragte ich angriffslustig.
    Mama schwieg. Ich konnte ihr nicht länger in die Augen schauen. Das war das Einzige, was mir leidtat - dass ich sie hintergangen hat­te. Alles andere bereute ich nicht.
    »Ach, übrigens«, durchbrach meine Stimme die Stille. »Er ist ein Cambion. Und Halbblüter sind ihm herzlich egal.«
    Papa ließ seine flache Hand auf den Tisch krachen. Er brachte es noch fertig und schlug das Ding in zwei Hälften.
    »Verdammt, Elisabeth, was ist plötzlich los mit dir? Willst du uns in den Wahnsinn treiben?«
    »Ein Cambion«, wiederholte Mama entgeistert. »Ich spring gleich aus dem Fenster.«
    »Tu dir keinen Zwang an«, erwiderte ich großzügig. Wir befanden uns schließlich im Erdgeschoss. »Du wirst es ebenso überleben wie ich meinen Besuch bei Colin.«
    »Es reicht!«, tobte Papa. »Wie kannst du so naiv sein und dir etwas darauf einbilden, dass er dich einmal davonkommen ließ?«
    »Einmal? Jedes Mal!«, schrie ich zurück.
    »Herrgott, Elisa, wach endlich auf! Er macht dir etwas vor. Er spielt mit dir. Das gehört zum Wesen des Mahrs. Er vermittelt dir das Gefühl von Sicherheit, damit du dich in ihn verliebst und deine Träume süßer werden, und wenn du so weit bist, schlägt er zu!«
    »Es mag sein, dass neunundneunzig Prozent aller Mahre so gestrickt sind, aber er nicht. Ich weiß es. Ich weiß es einfach.«
    Mama schaute kopfschüttelnd abwechselnd zu Papa und zu mir. »Ich verliere hier noch den Verstand«, murmelte sie ratlos. »Das ist ein Irrenhaus. Ich lebe in einem Irrenhaus.«
    »Elisabeth Sofia Sturm«, grollte Papa, beugte sich vor und packte mich grob an den Schultern. »Du täuschst dich. Es ist Teil seines Planes, dass du das alles glaubst.«
    »Gut, Papa - wenn Mahre von Grund auf so unehrlich sind, wie du behauptest, wer sagt mir dann, dass du mir die Wahrheit er­zählst? Immerhin bist du zur Hälfte ein Mahr und hast mich sieb­zehn Jahre lang angelogen.«
    Papa stöhnte auf und raufte sich die Haare. Die Sonnenbrille rutschte von seinem Gesicht und

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