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Splitterherz

Titel: Splitterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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stolzierte Mister X durch mein offenes Fenster, sprang sonor schnurrend auf das Fuß­ende meines Bettes und zeigte mir alleine durch seine Anwesenheit, dass sein Herrchen noch unterwegs war. Denn ich war mit  Sicherheit die zweite Wahl seiner kätzischen Übernachtungsgelegenheiten. Leider konnte er mir nicht verraten, was Herrchen überhaupt tat.
    Mein Vater beendete das familiäre Dauerschweigen, indem er mich am Freitagabend hinunter ins Wohnzimmer rief. Ich hatte gerade am Fenster gestanden und den aufgehenden Mond betrach­tet - eine schmale, fast zerbrechlich wirkende Sichel. Die nächsten Nächte würden stockfinster sein.
    »Ellie, kommst du mal bitte?«
    Ich überlegte einen Augenblick. Immerhin war es ein Satz ohne eine Befehlsform. Und mit einem »Bitte«. Vor allem aber klang seine Stimme geradezu verdächtig versöhnlich.
    Ich zierte mich ein paar Minuten, doch dann ließ ich mich von meiner Neugierde besiegen. Dass er einlenken und mir den Umgang mit Colin nicht länger untersagen würde, wagte ich aber gar nicht erst zu hoffen.
    Mama saß mit glänzenden Augen auf dem Sofa, ihren Schoß be­deckt mit Stoffbahnen und Nadelkissen. Trotz ihres Dauerschlaf­mangels sah sie so gut aus wie lange nicht mehr. Eine bronzene, ge­sunde Bräune überzog ihr Gesicht und ihre Augen schimmerten in tausend Grün- und Ockertönen. Papa wirkte entschlossen und bestürzend ausgeglichen. Es war schwer, sich von dieser allgemeinen guten Laune nicht anstecken zu lassen. Doch ich bewahrte tapfer einen diplomatisch neutralen Gesichtsausdruck.
    »Was gibt es?«, fragte ich kühl.
    »Morgen ist unten am Bach ein Dorffest. Und wir werden hin­gehen. Zusammen«, verkündete Papa, als habe er soeben das achte Weltwunder entdeckt. Stolz und ein klein wenig selbstgefällig. Ich musste meine Augen von seinen fernhalten, um nicht alleine seinem hypnotischen Blick zuliebe einen kleinen Freudentanz aufzuführen. Ich war dem Alter entwachsen, in dem ich meine Eltern zu Festivi­täten begleitete und das auch noch toll fand.
    »Und weiter?«
    »Lass dich einfach überraschen, Elisa«, sagte er zwinkernd.
    »Es muss wirklich sehr schön sein bei diesem Fest«, ergänzte Mama, wich meinem Blick aber schmunzelnd aus. Ich wurde den Verdacht nicht los, dass die beiden ein Geheimnis hegten. Das, was ich hier zu hören bekam, war doch nur die halbe Wahrheit.
    Oder meinten sie wirklich, mich damit von meinen Gedanken an Colin ablenken zu können? Vielleicht sogar mit irgendwelchen Jungs aus dem Dorf zu verkuppeln? Ich ließ mir meinen Argwohn nicht anmerken, brach aber auch nicht in Jubel aus.
    »Okay, gut«, sagte ich nur und verzog mich wieder auf mein Zim­mer.
    Mama kam bis nach Mitternacht nicht zur Ruhe. Ich hörte, wie sie immer wieder in den Keller ging, Wäsche wusch, Schranktüren auf- und zuklappte, in der Küche hantierte. Papa blockierte das Te­lefon für fast drei Stunden.
    So merkwürdig Colin auch sein mochte - das hier war noch viel merkwürdiger. Gegen ein Uhr in der Nacht wurde das Haus endlich still. Ich atmete auf. Schon an den vergangenen Abenden hatte ich es mir zur Gewohnheit gemacht, noch einmal nach draußen zu gehen, wenn Mama und Papa sich schlafen gelegt hatten. Denn die Nächte waren hochsommerlich mild geworden. Ich setzte mich dann unter das vorspringende Dach der Garage und wartete, bis meine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten.
    Jeden weiteren Abend brauchte ich weniger Zeit dazu. Nach und nach bekam alles Konturen, Silhouetten und spitze Schatten und die Welt um mich herum begann zu leben. Fledermäuse schwirrten durch das Grau, ohne sich jemals bei ihren scheinbar ziellosen Schnörkelflügen zu berühren. Ich hörte die kleinen Krallenfüße der Igel über das Gras schlurfen und Mäuse in den Blumenbeeten wispern.
    Am liebsten aber sah ich den Gewitterwolken zu, die sich beinahe jeden Abend im Westen aufbauten, ein paar matte Blitze durch das Dunkel schickten und dann, mit zunehmender Kühle, abflachten, um schließlich ganz zu verschwinden.
    Doch heute war es anders. Ich wartete vergeblich auf den kühlen Lufthauch. In der feuchten, drückenden Nachtluft hielten sich die Gewitterwolken. Pilzförmig wuchsen sie in die Höhe, vereinten sich, trennten sich und bildeten neue, noch massivere Türme, ohne je näher zu kommen.
    Irgendwann spürte ich, dass ich beobachtet wurde. Ich wandte meinen Kopf zum Haus. Papa stand als wuchtiger Schatten im Schlafzimmer und starrte auf mich herunter. Ich starrte

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