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Splitterherz

Titel: Splitterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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nicht erst in Versuchung geraten, Tessa zu beschrei­ben. Trotzdem musste ich ihn etwas fragen.
    »Colin?«
    »Hm?«, machte er nur und hievte sich ein paar lange Holzlatten auf die Schulter, als handele es sich um Streichhölzer.
    »Warum konnte ich Tessas Gesicht nicht sehen?«
    Er lud das Holz am Gatter ab und sortierte es, bevor er sich mir zuwandte. Seine Miene hatte sich verdüstert.
    »Du hast es nicht gesehen? Gut«, sagte er kurz angebunden.
    »Warum >gut    Colin hieb seelenruhig ein paar Nägel in eine Holzlatte. Es machte mich wahnsinnig. Ich hätte ihm gerne sein Werkzeug aus der Hand gerissen, damit er sich auf mich konzentrierte. Auf mich und meine Fragen.
    »Was treibst du da eigentlich?«, zischte ich gereizt. »Ergotherapie für unterbeschäftigte Nachtmahre?«
    Entnervt schleuderte er den Hammer in die Mitte des Geheges. Eine sehr menschliche Geste, wie ich fand, aber ich konnte ein er­schrockenes »Huch« nicht unterdrücken.
    »Ich arbeite«, gab er scharf zurück. »Das ist mein Job. Damit ver­diene ich Louis’ Futter und bezahle teure Tierarztrechnungen. Und in dieser Schonung wachsen junge Bäume, ohne dass das Wild sie anknabbert.«
    »Okay«, sagte ich kleinlaut.
    »Ergotherapie«, schnaubte er, um dann in einer mir völlig frem­den Sprache vor sich hin zu brummeln. Es hörte sich alles andere als nett an.
    Ich ließ ihn die letzte Lücke seines Baumkindergartens schließen und fragte vorsichtshalber nichts mehr. Nach Hause gehen wollte ich aber auch nicht, obwohl sich die Schwärze des Himmels im Osten milderte und in ein kaltes Anthrazit eintauchte. Bald würde die Sonne aufgehen.
    Als das Gatter stand, suchte Colin sein Werkzeug zusammen, packte es in den Gürtel und schenkte mir endlich seine Aufmerk­samkeit. Ich fror mittlerweile so sehr, dass ich meine Zehen nicht mehr spürte und mir ständig mit den Händen über meine Ober­schenkel und Waden rieb, um sie warm zu halten. Vermutlich wirkte ich dabei reichlich verhaltensgestört.
    Im Schneidersitz nahm Colin mir gegenüber Platz. Ich hatte nicht gewusst, dass das so elegant möglich war.
    »Gut, du hast schlecht geträumt. Ich sagte schon, dass es mir leid­tut. Aber falls du denkst, es ist für mich ein Spaziergang gewesen, irrst du dich. An solche Dinge erinnert man sich nicht gerne. Auch wenn sie 140 Jahre zurückliegen.«
    »Ja, natürlich«, wisperte ich.
    »Und du hast Tessas Gesicht nicht gesehen, weil ich mich nicht mehr daran erinnern möchte. Nie mehr.«
    Jetzt bemerkte ich, dass dunkle Schatten unter seinen Augen la­gen. Ja, es hatte auch ihn erschöpft. Die Kälte konnte ihm dennoch nichts anhaben. Das Hemd stand immer noch offen und nun zog er aufseufzend seine Stiefel aus und drückte seine nackten Zehen woh­lig in das feuchte Gras.
    »Darf ich dich darauf hinweisen, dass ich es nicht gewöhnt bin, nachts stundenlang auf dem Waldboden zu sitzen? Verdammt, Co­lin, mir ist so kalt«, jammerte ich.
    »Ich kann dich leider nicht wärmen«, entgegnete er mit einem kaum wahrnehmbaren Schmunzeln in den Mundwinkeln. »Nicht jetzt.«
    »So hab ich das nicht gemeint«, stotterte ich. »Ich dachte, du hast vielleicht irgendetwas dabei - eine Jacke oder eine Kuscheldecke ...«
    »Eine Kuscheldecke.« Erheitert, aber auch ein wenig perplex blickte er mich an. »Mein Gott, Ellie.« Er schüttelte den Kopf und seine Haare schwangen tänzelnd mit. »Warum gehst du nicht ein­fach nach Hause und legst dich in dein warmes Bett?«
    »Weil ...« Mir fiel keine gute Antwort ein. Weil ich hier bei dir bleiben möchte. Weil ich mir lieber den Hintern abfriere, als dich jetzt allein zu lassen. Weil ich gerne meine Hand auf deine Brust le­gen würde, um zu spüren, wie kalt deine Haut wirklich ist. »Weil ich noch hellwach bin«, log ich. Tatsächlich war ich so gerädert, dass ich ununterbrochen damit beschäftigt war, mein Gähnen zu unterdrü­cken.
    »Natürlich, und ich bin Lady Godiva«, spottete Colin.
    Ich kicherte nur, zu kaputt, um mich für meine Schwindelei zu entschuldigen. Colin musterte mich amüsiert.
    »Von mir aus - dann warten wir noch ein bisschen. Er kommt meistens gegen Morgen hierher. Bleib einfach ganz still.«
    »Wer ist >er    »Still, habe ich gesagt«, ermahnte Colin mich.
    »Hmpf«, brummte ich und legte das Kinn auf meine verschränk­ten Arme. Nun fühlte ich auch meinen Hintern nicht mehr. Noch eine Stunde und man würde mich mit einem akuten

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