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Splitterherz

Titel: Splitterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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lästi­ge Fliege. Er hat so starke, tapfere und kühne Träume. Es ist, als würde ich dem Meer ein Glas Wasser entnehmen.«
    »Wenn du es kannst, warum ernähren sich dann die anderen Mahre nicht auch von Tierträumen?«
    Colin lachte humorlos auf. »Es gilt als Blutschande. Als schwach und verachtenswert. So falsch liegen die Mahre da nicht. Menschen­träume sättigen besser und länger. Aber du glaubst gar nicht, wie stark sich die Träume von Tieren anfühlen können. Sie sind zwar einfacher und instinktiver, doch sie sind auch reiner. Ich bin ein Outlaw unter den Mahren, seitdem ich mich von Tierträumen er­nähre.« Er zuckte gleichmütig mit den Schultern. »Aber das ist ja nichts Neues für mich.«
    Nun wurde es im Osten hell und die Waldvögel begannen zu sin­gen. Meine Müdigkeit kehrte zurück. Auch die Wärme, die eben noch meinen Körper durchströmt hatte, wurde von der Morgenkälte aufgesogen. In schweigendem Einverständnis standen wir auf und liefen zur Weggabelung. Ich war so zerschlagen, dass ich meine Schritte nur unsicher setzte und einige Male stolperte. Colin bog nicht in Richtung seines Hauses ab. Wir näherten uns zusammen dem offenen Feld. Niemand außer uns war unterwegs. Als der Feld­weg anstieg, die letzte Kuppe vor der Senke, in der unser Haus lag, verließ mich meine Kraft.
    »Ich brauche eine Pause«, seufzte ich und wollte mich auf den kalten Boden setzen. Es ging einfach gar nichts mehr.
    Doch Colin hob mich hoch, bevor ich den Grund berührte, und sobald ich meine Stirn an seine Schulter legte, fielen mir die Augen zu. Mein Körper schlief, aber meine Seele war noch wach.
    Wie ein Geist drang er in unser Haus ein, trug mich die Treppen hoch und ließ mich auf mein Bett gleiten. Benebelt blickte ich mich um.
    Mister X hatte schon auf Colin gewartet. Hellwach erhob er sich vom Fußende meines Bettes. Der Kater sprang als Erster auf das Fenstersims und stahl sich über das Dach davon. Dann folgte Colin. Keine Geste, kein Wort des Abschieds.
    Nicht einen Atemzug später stand mein Vater im Raum. Ich  konnte sein argwöhnisches Wittern auf meinem Nacken spüren. Ich stell­te mich schlafend. Es fiel mir nicht schwer. Er war kaum zu mir ans Bett getreten, da hatte ich mich dem Schlaf bereits ausgeliefert. Ei­nem Schlaf, der mich von Träumen verschonte und mir für zwei, drei stille Stunden einfach nur Frieden schenkte.
     

    Ringelpiez mit Anfassen
     
    Schon um sieben Uhr - ich vergewisserte mich mit einem Blick auf die Uhr, denn ich konnte es nicht glauben - hörte ich Mama durchs Haus schlurfen. Treppe rauf, Treppe runter. Die Wintergartentür klapperte fast im Minutentakt. Dann wässerte sie mit Hingabe ihre Blumen und ließ den Sprenger laufen, bis das taunasse Gras triefte. Ratlos stand ich an meinem Fenster und sah ihr dabei zu, wie sie von Pflanze zu Pflanze ging und jeder eine ausführliche Privat­audienz abstattete. Gut, es hatte einige Tage nicht geregnet. Und es war heiß geworden. Aber das war noch lange kein Grund, einen solchen Aufstand zu veranstalten.
    Ich hätte gerne noch ein bisschen geschlafen. Die Strapazen der Nacht steckten mir in den Knochen. Von dem Hufabdruck war selbst bei Tageslicht nichts mehr zu sehen oder zu spüren. Trotzdem suchten mich immer wieder kurze Erinnerungen an das Traum­geschehen heim, ließen mich bis ins Mark erschauern und warfen neue Fragen auf. Doch ich war zu müde, um sie mir zu notieren.
    Nach einem wortkargen Frühstück in Gesellschaft meiner hyperaktiven Eltern (nahmen sie neuerdings Drogen?) verabschiedete ich mich wieder nach oben auf mein Zimmer. Sogar mein Vater schien nicht mehr daran zu zweifeln, dass ich die ganze Nacht brav im Haus verbracht hatte.
    Trotz der sommerlichen Wärme kuschelte ich mich tief in mein Bett und versuchte, schlummernd meine Nachtruhe nachzuholen.
    Leider wurde ich immer genau dann gestört, wenn ich gerade dabei war, in eine überaus angenehme Erinnerung hinabzugleiten. Colins Bauch auf meinem zum Beispiel. Doch just in diesem Moment stie­felte Mama ins Zimmer und sortierte frisch gebügelte Wäsche in meinen Schrank.
    »Mama ...«, seufzte ich vorwurfsvoll. »Ich versuche zu schlafen.« Sie ließ sich nicht beirren, obwohl sie eigentlich am ehesten Ver­ständnis für ausgedehnte Tagesnickerchen haben sollte.
    Eine halbe Stunde später - ich war mit meinen Gedanken und Gefühlen bei den gelben Augen des Wolfes und dem warmen Nest aus Colins Armen und Beinen, in das ich mich hatte schmiegen

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