Splitterherz
Nierenleiden ins Krankenhaus einliefern müssen. Colin setzte sich stumm neben mich, die Augen halb geschlossen. Er lauschte.
Ich tat es ihm gleich. Es war völlig windstill und wir konnten dabei zusehen, wie die Sterne verblassten. Tau legte sich glitzernd auf meine nackten Unterarme.
»Er kommt«, flüsterte Colin. Ich konnte weder etwas hören noch etwas sehen. Doch Colins Ohrspitzen bewegten sich leicht nach vorne und seine Nasenflügel bebten. Er witterte etwas. Fasziniert beobachtete ich die feinen Regungen in seinem Gesicht.
»Da vorne spielt die Musik«, raunte er und ich beeilte mich, meinen Kopf zu drehen. Ein grauer, zottiger Schatten schob sich aus dem Dickicht - ein Schatten mit gelben, gefährlichen Augen, gesträubtem Nackenfell und dürren, sehnigen Beinen. Nur wenige Meter vor uns blieb er stehen, duckte den Kopf und starrte uns wachsam an.
Ich war eigentlich der Meinung, für diese eine Nacht schon genug Strapazen durchstanden zu haben. Das hier war endgültig zu viel für meine Nerven. Unwillkürlich rückte ich näher an Colin heran. Wenn, dann sollte er uns beide zerfleischen. Und zwar auf einmal, damit es schnell ging. Ich hielt es für unklug, jetzt zu sprechen. Stattdessen versuchte ich es mit Gedankenübertragung.
Ist das tatsächlich ein Wolf?, formulierte ich im Geiste, so intensiv ich konnte.
»Ja, und nun halt endlich mal die Klappe«, antwortete Cohn mir sehr real. Den Wolf schien seine Stimme nicht zu stören. Im Gegenteil - er kam sogar noch ein Stückchen näher auf uns zu. Und wenn mich nicht alles täuschte, nahm er dabei keine Angriffsposition ein.
»Jetzt«, murmelte Colin und griff nach meiner Hand, um sie auf seine Brust zu legen. Und dann passierte etwas mit mir. Es ging schnell und es waren nur kurze, fliegende Bilder, die durch meinen Kopf jagten - Schnee unter meinen Läufen, ein blutiges Stück Wild zwischen meinen messerscharfen Zähnen, der volle Mond, viel näher und größer als sonst, und ich heulte ihn an ...
Dann war es vorüber. Der Wolf wandte sich ab und trabte in die morgengraue Dämmerung. Augenblicklich erwärmte sich die Haut unter meiner Hand. Ein Energiestoß schoss durch Colins Körper. Er zog mich an sich, sodass ich an seiner Brust lehnte wie bei unserem kurzen Höllenritt durch das Gewitter, und wohlige Wärmeschauer brachten das Leben zurück in meinen durchgefrorenen Körper. Binnen Sekunden erstarb das innere Zittern. Meine Muskeln fühlten sich dehnbar und geschmeidig an.
Ich drehte mich zu Colin um. Die Schatten unter seinen Augen waren verschwunden. Ein weiches Lächeln umspielte seine gelösten Lippen.
Ich räusperte mich und brachte mich umständlich in eine emanzipierte Sitzposition zurück, bevor er mich von sich wegschieben konnte. So konnte ich mir zumindest einbilden, dass ich länger hätte bleiben dürfen, wenn ich es nur gewollt hätte.
»Hast du von ihm gegessen? Von seinen Träumen?«
Colin lachte. »Es war nur ein Snack. Wie wenn du ein Stück Schokolade isst. Nichts Richtiges, aber sehr lecker. Außerdem habe ich es getan, um dich ein bisschen aufzutauen. Jetzt besser?«
»Jaaa«, seufzte ich zufrieden. An Colins Brust war es zwar noch schöner gewesen, aber man sollte auch kleine Gaben zu schätzen wissen.
Dann fiel mir etwas ein.
»Als du mich aus dem Gewitter gerettet hast, war ich klitschnass. Aber nach dem Ritt waren meine Kleider wieder fast trocken.«
Ich spürte, wie Colin sich kurz anspannte.
»Ich hatte gerade gegessen«, sagte er knapp. »Und ich - ich habe die Restwärme an dich abgegeben.« Obwohl das ein sehr ritterlicher Akt gewesen war, schien ihm das Thema unangenehm zu sein. Also zurück zu dem kleinen wilden Snack von eben.
»Ich hatte keine Ahnung, dass im Westerwald Wölfe leben«, wunderte ich mich.
»Das tun sie eigentlich auch nicht«, erwiderte Colin. »Er ist der einzige und er ist noch nicht lange hier. Es weiß niemand außer mir und ich werde den Teufel tun, es meinen Kollegen zu erzählen. Er findet genug Nahrung, ohne das Gleichgewicht des Waldes zu stören.«
»Apropos Nahrung.« Ich war Feuer und Flamme. Es war wunderbar, über solche Dinge mit Colin zu sprechen. Ökologie und Dämonentum. Ich war in meinem Element. »Schadet es ihm nicht, wenn du seine Träume raubst?«
Colins Blick wurde wehmütig, ja, fast ein wenig traurig.
»Ach, Ellie ... Er ist so stark. Ich könnte jede Nacht in seinen Geist eindringen und er würde es anschließend abschütteln wie eine
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