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Splitterherz

Titel: Splitterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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Woche, aber eine Woche konnte sehr, sehr lang sein.
    Andererseits waren da das Mittelmeer, das ich schon immer mal sehen wollte, und die Sonne des Südens, von der alle immer schwärmten und die ich noch nie erlebt hatte.
    Mit halbem Ohr bekam ich mit, wie Papa erwähnte, dass er und Mama schon um drei Uhr in der Frühe starten wollten. Natürlich würde er losfahren, wenn es noch dunkel war, damit er nicht ins gleißende Mittagslicht kam. Ich wusste, dass die beiden in der Schweiz übernachten wollten. Und dann, dachte ich von plötzli­chem Neid gepackt, waren sie endlich im warmen Süden, schliefen tagsüber und lebten nachts auf, stromerten durch enge Gassen, aßen Pasta und tranken Wein. Dafür kannte ich Norwegens düstere Fjorde wie meine Westentasche. Eiskalte, verregnete, einsame Fjor­de, in denen es auch tagsüber dunkel war.
    Ein kameradschaftlicher Schlag auf meine Schulter befreite mich von meinen frostigen Ferienerinnerungen. Ich hustete kurz.
    »He, Ellie, aufwachen!« Es war Benni. Natürlich.
    »Na?«, fragte er mich lachend. Nicole und Jenny begutachteten ihn neugierig. Er zwinkerte aufgeräumt zurück.
    »Na«, sagte ich lahm, weil mir nichts anderes einfiel.
    »Kommt doch nachher mal rüber, ich arbeite am Bierstand!« Schon war er wieder weg.
    »Der ist ja süß«, sagte Jenny grinsend und stieß mich auffordernd in die Seite.
    »Kannst ihn haben«, erwiderte ich trocken. »Ist bei allen beliebt, Vertrauensschüler, gut in Sport und der Sohn des Bürgermeisters von Rieddorf.«
    Ich stocherte gelangweilt in meinen Fritten. Meine Eltern hatten mir eine Freude machen wollen. Jenny und Nicole hatten mir eine Freude machen wollen. Benni wollte uns eine Freude machen. Colin aber hatte mir Schmerzen und seelische Qualen verursacht. Und ich saß hier und sehnte mich nach ihm, anstatt mich des Lebens zu freuen und das Fest zu genießen. Denn wenn man sich mal an seine karge Ausstattung gewöhnt hatte, war es gar nicht übel. Das Wetter spielte mit und der dicke DJ bewies einen soliden Musikgeschmack. Ich entspannte mich ein wenig. Es hätte alles weitaus schlimmer kommen können, redete ich mir ein. Ich war nicht allein, es war warm und ich war satt. Laut Herrn Schütz, meinem Biolehrer, wa­ren damit die menschlichen Grundbedürfnisse gestillt.
    In dem Moment, als ich mich mit diesen banalen Argumenten trösten wollte, fegte aus dem Nichts ein pfeifender Windstoß über die Festwiese. Die Büsche neben uns bogen sich rauschend zur Seite. Das Papierschiffchen mit den restlichen Fritten segelte vom Tisch, die wir es zu fassen bekamen.
    Neben uns begann ein kleiner Dackel hysterisch zu bellen. Er war am Tischbein festgebunden, doch er wollte weg. Den Schwanz ein­geklemmt und die speicheltriefenden Lefzen hochgezogen, zerrte er so fest an seiner Leine, dass die gesamte Konstruktion ins Wanken geriet. Bier kippte schäumend ins Gras und spritzte auf Jennys lackierte Zehennägel.
    »Huch, was ist denn jetzt?«, fragte sie nervös und klemmte ihren Halternden Rock unter die Schenkel. Über ihr zerplatzte eine der bunten Glühbirnen. Winzige Scherben rieselten in ihr Haar.
    »Ganz normales Westerwälder Sommerwetter«, sagte ich knapp.
    Nun hatte der Dackel es geschafft. Der Tisch kippte scheppernd zur Seite und die Leine kam frei. Im Schweinsgalopp hetzte der Hund auf den Wald zu. Fluchend eilte sein Besitzer ihm hinterher.
    »Gut so. Ich kann die Viecher nämlich nicht leiden«, erklang eine vertraute Stimme hinter mir. Ich drehte mich um. Es war Tillmann. »Hallo, Ellie«, sagte er lässig und schlenderte zur Bar.
    Nicole und Jenny hatten ihn nicht einmal bemerkt. Sie waren vollauf damit beschäftigt, ihre zerstörten Frisuren in Ordnung zu bringen. Meine Blicke aber wurden hinüber zu dem alten steinernen Eisenbahntunnel am Rand der Festwiese gezogen.
    Bist du es?, fragte ich im Geiste, während mir eine neue eisige Böe die Haare ins Gesicht wehte. Zärtlich strichen sie über meine Wan­ge. Ich brauchte die Antwort nicht abzuwarten. Bevor das rhyth­mische Klappern der Hufe Nicoles und Jennys Aufmerksamkeit wecken konnte, stürmte Louis’ schwarzer Schatten aus dem Tunnel, Colin geduckt auf seinem Rücken, damit sein Kopf nicht die stei­nerne Decke berührte. In Papas Kehle grollte es leise. Colin verlang­samte Louis’ Tempo, brachte ihn einen halben Meter vor der Frit­tenbude filmreif zum Stehen und glitt geschmeidig aus dem Sattel.
    Jenny kicherte schrill. Für einen kurzen Augenblick sagte

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