Splitterherz
Ruck und löste mich von der Theke, um meinen Eltern Auf Wiedersehen zu sagen. Sie waren so anständig, nicht zu fragen, wer der kleine rothaarige Kerl neben mir gewesen war. Stattdessen nahm Mama mich fest in den Arm und fuhr mir über meine störrischen Haare, die sich schon wieder in alle Himmelsrichtungen sträubten.
»Viel Spaß, Ellie. Ibiza ist eine wunderschöne Insel mit interessanten Menschen«, sagte sie mit sehnsüchtigem Blick. Bevor sie Papa kennenlernte, hatte sie mehrere Jahre dort gelebt, wie mir jetzt wieder einfiel. Und seit seinem Befall war sie nie wieder da gewesen. Ihre Umarmung zu erwidern, kostete mich keinerlei Überwindung. »Danke für die Überraschung«, murmelte ich artig. Ich konnte mich immer noch nicht richtig darüber freuen.
Bei Papa fiel mir die Verabschiedung schon wesentlich schwerer. Steif standen wir uns gegenüber und ich wagte nicht, ihm in die Augen zu sehen. Schließlich packte er mich an den Schultern und drückte mich kurz an sich.
»Habt ihr Ärger?«, fragte Jenny mich, als die beiden im Dunkel des Waldes verschwunden waren und Nicole meinem Vater verträumt hinterherschaute.
»Eher eine Meinungsverschiedenheit«, gab ich mich weiterhin bedeckt. Die Überlegung, mit Nicole oder Jenny oder gar beiden zusammen über Colin zu sprechen, war absolut lachhaft. Besagter stand immer noch mit dem Rücken zu mir an der Bar und wechselte nur ab und zu ein paar Worte mit den Thekendiensten. Die Plätze neben ihm blieben frei. Sollte Sir Blackburn doch Wurzeln schlagen. Ich wollte nach Hause.
»Kommt, lasst uns gehen«, schlug ich nach zehn Minuten belanglosem Geplapper vor. Reden konnten wir auch bei mir im Zimmer und da musste ich wenigstens nicht ständig Colins Kehrseite an- schauen. Das war wie ein Zwang. Und es frustrierte mich. Außerdem zeigte der Schnaps von Tillmann immer noch Wirkung. Ich war in der Stimmung, einen Streit vom Zaun zu brechen, wenn mir jemand in die Quere kam. Und es gab inzwischen genügend angetrunkene Jungs, die uns mit gierigen Augen verschlangen. Benni putzte beflissen die Theke, doch auch er hatte schon den einen oder anderen tiefen Blick zu Nicole und Jenny gesendet.
»Okay«, gab Nicole klein bei. »Musst ja auch noch deinen Koffer packen, oder?« Oh Gott. Ja, das musste ich. Und ich hatte doch überhaupt keine Ahnung, was man für einen Urlaub im Süden brauchte. Also machten wir uns auf den kurzen Weg nach Hause, obwohl ich Colin noch gerne irgendeine Gemeinheit an den Kopf geworfen hätte.
Sobald wir die matt beleuchtete Festwiese hinter uns gelassen hatten, umfing uns tiefschwarze Dunkelheit. Doch ich konnte mich in dem kurzen Waldstück, das zum Bach und der Brücke führte, inzwischen fast blind orientieren. Meine Augen waren trainiert. Dennoch musste ich mir eingestehen, dass es wirklich eine verdammt finstere Nacht war. Auf den ersten Metern konnte auch ich den Wald kaum vom Himmel unterscheiden. Nicole und Jenny blieben sofort stehen und suchten kreischend nach meinen Händen. Die ruhten sehr bequem in meinen Hosentaschen.
»Oh Gott, Ellie, das ist ja total gruselig! Gibt es hier keine Laternen?«, rief Jenny, während Nicole in eine Art Schockstarre verfallen war. Sie hatte wohl Angst, sich auf ihren hochhackigen Stiefeln den Fuß zu verstauchen.
»Na ja, wir sind im Wald«, sagte ich gelassen. »Da sind Laternen eher Mangelware. Nun kommt schon, es sind ja nur ein paar Meter.« Forsch schritt ich voraus und ergötzte mich an dem panischen Verharren meiner Freundinnen hinter mir.
»Mensch, Lassie, warte doch!«, motzte Nicole, doch ich stellte mich taub. Du hast mir Toby weggenommen, dachte ich bissig. Dann sieh auch zu, wie du allein durch den Wald findest. Ich bin nicht dein Kindermädchen.
»Was ist mit der bloß los? Das kann ja lustig werden auf Ibiza«, zischelte Jenny, die offenbar vergessen hatte, welch gute Ohren ich besaß. Jetzt erst recht, sagte ich mir und beschloss, meiner Eingebung zu folgen, die mir wie ein irrlichternder Komet durch den Kopf schoss. Hier, direkt vor mir neben dem Weg, gab es einen Hochsitz. Und es würde die ganze Angelegenheit doch wesentlich reizvoller gestalten, wenn ich ein paar Minuten lang wie vom Erdboden verschluckt wäre. Ich griff nach den Leitersprossen und krabbelte flink himmelwärts. Oben angekommen drehte ich mich sofort um und schaute nach unten.
»Na, dir sitzt ja heute der Schalk im Nacken.«
Bevor ich vor Schreck den Halt verlor und nach
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