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Splitterherz

Titel: Splitterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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sagte ich, nun mit etwas festerer, lauterer Stimme. »Ich möchte hierbleiben.«
    »Hier?«, keifte Jenny und drehte sich mit wedelnden Armen ein­mal um sich selbst. »Hier?«, wiederholte sie. »Hier ist - nichts!«
    Na ja, so ganz stimmte das nicht. Ganz oben am Himmel kreisten zwei Raubvögel und sendeten ab und zu einen gellenden Schrei durch die Morgenstille. Mitten auf der verlassenen Weide neben uns lauerte eine gefleckte Katze vor einem Mauseloch. Und wenn man an ihr vorbeilief und dem ausgetretenen Weg noch knappe zweihundert Meter folgte, umfing einen der schattige, kühle Wald. Mein Wald.
    »Dann bleibe ich eben im Nichts«, antwortete ich beharrlich. »Ich kann nicht mit. Seid mir nicht böse.« Mit verschränkten Armen stand ich vor ihnen und konnte nicht glauben, was ich da tat. Nicole und Jenny konnten es auch nicht glauben.
    »Oh Mann, ich fass es nicht ...«, stöhnte Nicole und drückte ihre Stirn gegen die Autotür. »Ich versteh dich nicht, Lassie. Ich versteh dich echt nicht.« Jetzt wurde sie sauer. »Weißt du was? Dann bleib doch hier und langweile dich zu Tode. Mann, das ist - das ist total beknackt!«
    »Ich bin wirklich enttäuscht«, versuchte Jenny es auf die erwach­sene Tour. »Wir haben uns Mühe gegeben, einen tollen Urlaub zu organisieren, und du benimmst dich seit gestern, als tickst du nicht ganz richtig. Was ist los mit dir?«
    Ich schwieg. Sie würden es ja doch nicht verstehen. Ich öffnete den Kofferraum und holte mein Gepäck heraus.
    »Komm, Jenny, der ist nicht zu helfen. Und von dem Gezicke lass ich mir meinen Urlaub nicht vermiesen«, giftete Nicole und schob Jenny zurück in den Wagen. Ich kramte den Hunderteuroschein, den Mama und Papa mir als Taschengeld mitgegeben hatten, aus meiner Jeanstasche und drückte ihn Nicole durchs offene Fenster in die Hand. »Hier, fürs Taxi. Amüsiert euch gut.« Nicole schüttelte nur ungläubig den Kopf.
    »Haben die Damen sich endlich geeinigt?«, fragte der Fahrer.
    »Ja, haben sie«, rief ich ihm zu und drehte mich um, ehe ich mei­ne Entscheidung bereuen konnte. Aber ich wollte nur noch raus aus dem Benzinqualm und zurück in mein Zimmer, wo ich die Mat­ratzen wegräumen und kräftig durchlüften konnte.
    Die Nacht war eine Geduldsprüfung gewesen. Nachdem Mister X im Morgengrauen mit einer halbtoten Maus im Maul kehlig grun­zend auf Nicoles Hintern gesprungen war, hatte ich mich dabei ver­ausgabt, zwei kreischende Weiber zur Vernunft zu bringen, Mister X die Maus abzunehmen, sie zur Rekonvaleszenz in einem von Ma­mas Hochbeeten auszusetzen und Jennys Matratze abzusaugen, um sie vor einem Allergieschock zu bewahren.
    Mister X dazu zu überreden, mein Zimmer zu verlassen, war schon schwieriger gewesen. Ich musste alle Fenster geschlossen las­sen und hatte den Rest dieser kurzen Nacht immer wieder Ersti­ckungsgefühle. Mir fehlte die frische Luft, und dass Mister X eine halbe Stunde wie ein Standbild am Fenster klebte und mich vor­wurfsvoll anstarrte, hob meine Laune auch nicht gerade.
    Doch weitaus beklemmender waren die Duftschwaden gewesen, die von Nicoles und Jennys Lagerstätten aufstiegen. Parfüm. Deo­dorant. Frischer Nagellack. Haarspray. Bodylotion. Puder. Mir war fast übel davon geworden.
    Jetzt konnte ich endlich wieder atmen. Wie berauscht von meiner plötzlichen Freiheit blieb ich mitten auf dem Feldweg stehen und schloss die Augen, weil die helle Sonne mich taumelig machte. Es würde ein heißer Tag werden. Und niemand war da, der mich zu irgendetwas überreden oder nötigen wollte. Ich konnte den ganzen Morgen auf dem Bett herumlungern und an Colin denken, wenn ich Lust dazu hatte. Ich konnte essen, wann ich wollte, oder es auch bleiben lassen. Ich war keinem Rechenschaft schuldig. Es war ein herrliches Gefühl.
    Ich war allein.
     

    Allein, allein
     

    Das herrliche Gefühl nahm ein jähes Ende, als mir meine Eltern einfielen. Dass ich ihre sicher nicht ganz billige Überraschung ein­fach torpedierte und mich den Fängen des hiesigen Nachtmahrs auslieferte, durften sie niemals erfahren. Das bedeutete wiederum, dass ich Nicole und Jenny nicht mehr begegnen konnte - denn die würden sich garantiert verplappern - und kräftig lügen musste. Doch ich hatte eine Woche Zeit, um mir in Ruhe zu überlegen, wie ich dieses Problem lösen konnte. Und immerhin hatte mich nie­mand gefragt, ob ich überhaupt nach Ibiza wollte.
    Auf einmal hatte ich einen Bärenhunger. Mit knurrendem Magen lief ich zum Haus, schloss die

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