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Splitterherz

Titel: Splitterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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unten stürzte, hatte seine Hand mich am T-Shirt-Kragen gepackt und neben sich gezogen.
    »Du ... du verfluchter Idiot!«
    »Guten Abend, Ellie«, grinste Colin so unverschämt, dass ich ver­sucht war, den Hochstuhl auf der Stelle wieder zu verlassen. Am besten mit einem todesmutigen Sprung kopfüber ins Nichts. Ande­rerseits war das, was Nicole und Jenny unten auf dem Weg ver­anstalteten, beinahe bühnenreif. Während Nicole allen Ernstes glaubte, mit ihrem Handydisplay Licht in die Dunkelheit bringen zu können, vollführte Jenny mit fuchtelnden Händen eine Art Schattentanz, der an Unbeholfenheit kaum zu übertreffen war.
    »So ähnlich wie Klein Ellie im Gewitter«, analysierte Colin tro­cken.
    »Verarschen kann ich mich alleine«, raunzte ich ihn an.
    »Was sind das denn für Primadonnen? Deine Freundinnen, nicht wahr? Na, ihr habt ja auch so viel gemeinsam«, kommentierte Colin zynisch. Die Szenerie bereitete ihm sichtlich Vergnügen. Jenny hatte sich auf die Knie fallen lassen und durchwühlte ihre Handtasche nach einem Feuerzeug, wie sie Nicole mit zittriger Stimme verkün­dete. Zwischendurch riefen sie immer wieder meinen Namen - in allen vier Varianten. Ellie, Lassie, Elisabeth, Elisa.
    »Warum hast du mich ignoriert?«, fragte ich Colin und warf ihm einen flüchtigen Blick zu. Das hätte ich nicht tun sollen, denn es war einfach unmöglich, ihn anzuschauen und nicht zu lächeln. Ich musste lächeln, weil ich mich so sehr freute, mit ihm hier oben zu sitzen und nicht unten in Nicoles und Jennys Parfümwolke durch den Wald zu geistern.
    »Was wäre denn dein Vorschlag gewesen - dass ich mich öffent­lich mit deinem Vater prügle? Was meinst du wohl, wer gewinnen würde? Das wollte ich euch beiden ersparen«, erwiderte er spöttisch. »Habt ihr euch denn versöhnt?«
    »Zwei Fragen«, ignorierte ich sein Anliegen, über unsere Familien­situation unterrichtet zu werden. Ich konnte nicht mehr lange hier oben bleiben. Nicole war den Tränen nahe und Jenny machte ihr mit verräterischem Tremolo den Vorschlag, einfach weiterzugehen, irgendwo müsse ich ja sein. »Elisabeth«, bellte sie wütend. Ihre Stimme überschlug sich.
    »Bitte schön«, sagte Colin höflich. Er vibrierte vor unterdrücktem Lachen.
    »Warum konnte ich dich und Tessa verstehen? Ich meine - du bist doch Schotte.«
    »Hast du jemals in einem deiner Träume etwas nicht verstanden, was man dir gesagt hat?«
    Ich überlegte kurz. Mir fiel ein, dass ich in einem sehr konfusen Traum sogar mal nach China gereist war und mich auf Chinesisch unterhalten musste und es tatsächlich konnte. Es war eine andere Sprache gewesen, doch ich hatte sie verstanden und ich konnte sie im Traum auch nachahmen. Statt einer Antwort schüttelte ich nur den Kopf, denn unten gab es Neuigkeiten. Benni war aufgetaucht und gab sich als edler Retter in der Not.
    »Endlich ist jemand da«, kiekste Nicole und Jenny fiel Benni vor lauter Erleichterung um den Hals. »Hier sieht man ja gar nichts und Lassie ist einfach verschwunden.«
    »So, Lassie«, bemerkte Colin und grinste anzüglich.
    »Vergiss es am besten gleich wieder. Ich hasse es.«
    »Das solltest du nicht«, erwiderte er leise und seine Augen streif­ten weich, ja, beinahe zärtlich mein Gesicht. Was sollte das nun wer­den - ein neues Ablenkungsmanöver? Nein, dazu war die Zeit zu kostbar. Wer wusste schon, wann ich ihn Wiedersehen würde?
    »Zweite Frage: Warum habe ich dich einmal von oben gesehen und war dann ... in dir drin?«, bohrte ich unbeirrt weiter.
    »Das ist etwas kompliziert«, sagte Colin ausweichend.
    Benni erzählte inzwischen großspurig von seinen nächtlichen Jagderlebnissen im Wald und versorgte Nicole und Jenny mit zwei Minipartylikören in Form eines Spermiums, die er wie Trophäen aus seiner Tasche zog, was den beiden weiteres Gegiggel entlockte.
    Mit erhobenen Augenbrauen sah ich Colin an. »Ich steh auf kom­plizierte Sachverhalte. Ich bin eine Einserschülerin.«
    »Das war mir klar.« Colin schmunzelte. »Gut, ich mache es kurz: Ich habe seit jeher die Fähigkeit, mich, wenn ich will, von oben zu betrachten - aus jeder Perspektive, die mir gerade recht ist. Auch das ist etwas, was Menschen im Traum können. Der Unterschied ist nur: Ich kann es immer. Deshalb beherrsche ich meinen Körper besser als andere - Wesen. Das ist auch der Grund, warum ich manchmal etwas entrückt wirke.«
    »Bist du jetzt da? Also hier? Neben mir?«, fragte ich vorsichtshal­ber nach.
    »Mehr geht nicht.«

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