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Splitterherz

Titel: Splitterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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Mehr wäre auch zu viel für mich gewesen.
    Immer wieder berührten sich unsere Arme, weil der Hochsitz sehr klein war und Colin sehr präsent. So präsent, dass ich mir erneut ins Gedächtnis rufen musste, bald wieder zu Nicole und Jenny zurück­zukehren, bevor sie mit Benni auf dumme Ideen kamen.
    »Reagieren die Menschen deshalb so seltsam auf dich?«
    »Das war jetzt schon die vierte Frage, Ellie. Ich muss zu Louis. Und du solltest deine - Freundinnen vielleicht langsam von Robin Hood erlösen.«
    Nicole und Jenny hatten ihren Spermalikör ausgetrunken und nun riefen sie zu dritt im Chor nach mir. Es fiel mir schwer, aber ich riss mich mit einem knappen »Ciao« - mehr hatte Colin heute nicht verdient - von diesem eigentümlichen Zufallsrendezvous in den Baumwipfeln los und kletterte die Leiter hinunter. Dann stellte ich mich wie die Unschuld vom Lande mitten auf den Weg und rief: »Wo bleibt ihr denn? Ich warte schon die ganze Zeit oben beim Wirtshaus auf euch!«
    »Kleine Lügnerin«, hörte ich Colins Flüstern in meinem Kopf. Eine wärmende Welle schoss durch meinen Körper. Ich wollte im­mer noch nicht nach Ibiza.
    Wie zwei verlorene Seelen flatterten Jenny und Nicole auf mich zu, nach Bennis Unterhaltungsprogramm jedoch wesentlich auf­gekratzter als in ihren ersten Schreckminuten. Ich konnte sie nur mühsam zu einem gedämpften Tonfall überreden, als wir zu Hause angekommen waren. Noch eine Verabschiedung von Papa würde ich nicht durchstehen. Ich wollte ihn keinesfalls wecken.
    Die nächste Stunde agierte ich wie ein ferngesteuerter Roboter, der nicht imstande war, sich gegen die Fremdprogrammierung zu wehren. Ich ließ Nicole und Jenny meine Urlaubskollektion zusam­menstellen und bezog währenddessen die Matratzen für sie. Nicoles Matratze legte ich vorsorglich auf jenen Flickenteppich, unter den die verbliebenen dicken Spinnen geflüchtet waren.
    Gegen ein Uhr herrschte endlich Ruhe. Ich wäre so gerne allein gewesen. Ich fühlte mich schon jetzt überreizt und nervös und die Vorstellung, mich in einen engen Billigflieger quetschen zu müssen, behagte mir gar nicht. Alles in mir schrie danach hierzubleiben. Einfach nur Tag für Tag in meinem Zimmer zu sitzen und in erlö­sender Stille nachzudenken, bis der Abend gekommen war.
    Aber wenn ich morgen übermüdet war, würde das alles nur noch aufreibender machen. Ich lag lange wach, bis ich endlich in einen chaotischen, unruhigen Schlaf fiel, in dem ich tausend Länder be­reiste und tausend verschiedene Sprachen sprechen musste.
    Nur Schottland war nicht dabei.
     

    Letzter Aufruf: Ibiza
     
    »Anhalten«, sagte ich leise. Irritiert drehte sich Jenny zu mir um. »Bitte halten Sie an«, wiederholte ich, ohne sie anzusehen.
    »Oh Gott, Lassie, was ist los, ist dir schlecht?«, rief Nicole panisch. Aufgeregt packte sie den Taxifahrer an der Schulter. »Haben Sie nicht gehört? Stopp, halten Sie an, sofort!« Ohne die Miene zu ver­ziehen, bremste er. Wir waren gerade erst auf der Kuppe des Feldweges, schlappe hundert Meter von unserem Haus entfernt. Wie paralysiert blieb ich sitzen und starrte auf meine Hände.
    Nicole stieß die Tür auf, hechtete ums Auto herum, riss die andere Tür auf und zog mich mit schwitzigen Händen nach draußen. Benommen stolperte ich ins Sonnenlicht. Mit vor Entsetzen geweiteten Augen schaute Nicole mich an. Seitdem Jenny sie einmal in der Achterbahn des Phantasialands vollgekotzt hatte, war sie von der Angst zerfressen, ihr könne so etwas wieder passieren.
    »Mir ist nicht schlecht«, versuchte ich sie zu beruhigen. Nun stieg auch Jenny aus dem Wagen. Der Fahrer drehte sich zu uns um und warf einen skeptischen Blick auf seine entflohenen Fahrgäste. »Das Taxameter läuft weiter«, bemerkte er schließlich und vertiefte sich in seine Sonntagszeitung.
    »Aber was ist denn dann? Wir sind eh schon spät dran, wir müssen weiter. Hast du etwas zu Hause vergessen?«, fragte Nicole und blickte hektisch auf die Uhr.
    »Nein. Nein, ich - ich fahre nicht mit. Ich bleibe hier.« Hatte ich
    das wirklich gesagt? Ja, hatte ich. Denn Jenny und Nicole fiel die Kinnlade hinunter. Mit offenem Mund starrten sie mich an. Jennys Kiefer schnappte als Erstes wieder zu.
    »Du - bleibst - hier?«, stieß sie im Stakkato zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Sie sah aus wie ein Raubtier, das die Fütterung verpasst hatte. Sehr unleidlich und zu allem bereit. Nicole seufzte nur dramatisch und drehte nervös an ihren Ponyfransen.
    »Ja«,

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