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Splitterherz

Titel: Splitterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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schmer­zenden Schultern wärmt.
    Aber sie bekommt mir nicht sonderlich gut seit circa 140 Jahren. Ich wurde für die Nacht geschaffen. Deshalb werde ich mich anschließend ins Haus zurückziehen und hoffen, dass meine kätzische Brut mir noch ein Plätzchen auf dem Bett übrig gelassen hat.
    Glaube ja nicht, dass ich schlafe. Das liegt mir nicht.
    Du aber hast Ruhe dringend nötig. Wirf Dich auf Dein Lager und sieh zu, dass Du zu Kräften kommst. Du wirst sie brauchen in all den Jahren, die da draußen auf Dich warten.
    Gehab Dich wohl. Ach ja, noch etwas: Ich werde verfolgt. Ich weiß noch nicht genau, von wem und warum, aber es scheint mir harmlos zu sein, denn es handelt sich um einen Menschen.
    Achte dennoch darauf und komme ihm nicht zu nahe.
    Colin
    PS Und keine Bange - ich bin satt.«
    Ich holte mir den Milchreis wieder aus dem Kühlschrank und las den Brief löffelnd ein zweites Mal, ein drittes Mal, ein viertes Mal - bis ich ihn fast auswendig konnte. Es war der schönste Brief, den ich jemals in meinem Leben bekommen hatte, aber auch der undurchsichtigste. Es gab so einige Passagen, die mir gar nicht gefielen. Zum Beispiel die Sache mit den Jahren, die angeblich auf mich warteten - das hörte sich so an, als würde ich sie ohne Colin verbringen müssen. Das passte wiederum zu der Stelle, an der er erwähnte, dass er irgend­wann sowieso nicht mehr hier sein würde. Ich hoffte einfach nur, dass er andere zeitliche Dimensionen pflegte als ich - größere.
    Auch kam ich nicht umhin, mich zu fragen, warum er überhaupt zu Stift und Papier gegriffen hatte, um mir meine Fragen zu beant­worten. Schließlich hätten wir das auch mündlich erledigen kön­nen. Doch so hatte er mir ein wenig das Maul gestopft. Wenn er aber dachte, dass damit meine Neugierde gesättigt war, hatte er sich geschnitten. Ich hatte noch tausend andere Fragen. Und das war ei­gentlich ein wunderbares Gefühl - wäre da nicht der unangenehme Verdacht gewesen, dass der Brief mich auf Abstand halten sollte.
    Ein Rascheln und Scharren aus dem Flur lenkte mich ab. Es hörte sich an, als würde jemand mit einem überdimensionalen Füllfeder­halter über ein raues Blatt Papier kritzeln. Versuchte da etwa je­mand, in unser Haus einzudringen? Auf Zehenspitzen schlich ich in die Diele und äugte um die Ecke. Der Einbrecher ging mir bis zur Wade, drehte mir seinen emporgereckten Hintern zu und kratzte mit den Vorderpfoten hingerissen am unteren Spalt der Eingangs­tür. Bitte keine weitere Maus - oder noch schlimmer: ein Vogel. Ei­nen halbtoten Vogel würde ich Mister X nicht verzeihen.
    »Nein, mein Freund, so nicht«, rief ich streng und sauste auf den Kater zu, um ihm sein Opfer zu entwinden. Doch Mister X schob sich platt vor den Türspalt und verteidigte seinen Fang mit einem dunklen Grollen.
    »Ja, was hast du denn da Feines, mein Hase?«, säuselte ich und streckte meine Hand aus. Mister X schaute mich an, als hätte ich mein Hirn bei der Pfandleihe abgegeben, und rückte noch ein we­nig enger an die Tür. Was immer er da auch zwischen seinen Krallen hatte - er war nicht bereit, es mir kampflos zu überlassen. Also musste ich tricksen. Ich durchwühlte den Vorratsschrank, bis ich eine Dose Thunfisch fand. Mein Plan ging schneller auf, als ich er­hofft hatte. Schon beim Öffnen der Dose kam Mister X wie ein ge­ölter Blitz aus dem Flur geschossen und rieb sich maunzend an meinem Bein. Schnell stellte ich ihm die Dose auf die Fliesen und eilte zur Haustür.
    Nein, es war kein Vogel. Es steckte unter der Haustür fest - jemand musste versucht haben, es durchzuschieben. Behutsam zog ich es heraus. Es war eine große, glatte, rechteckige Karte. Sie hatte die Maße eines Taschenbuches und wies, abgesehen von Mister X’ Krat­zern, nur wenige Gebrauchsspuren auf. Das Gemälde auf der Karte fesselte mich sofort. Und trotzdem hätte ich sie am liebsten wegge­worfen. Sie war mir unheimlich.
    Das Bild war symmetrisch aufgebaut - rechts und links standen sich zwei ägyptische Figuren mit langen Nasen und schrägen Augen gegenüber, an deren starre Füße sich zwei schwarze Tiere schmieg­ten. Das eine sah aus wie ein Hund, das andere wie eine Katze. Zwi­schen den Gesichtern der Figuren prangte ein milchiger Kreis, ge­ziert von einer goldgelben, nach unten gekehrten Mondsichel. Im abgeteilten unteren Drittel der Karte war der Mond rund und trug in sich eine gelbe Kugel - eine Kugel, die von den Vorderbeinen ei­ner schwarzen, dünnen Spinne

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