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Splitterherz

Titel: Splitterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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helle Haut schimmerte wie frisch gefallener Schnee, obwohl es stockfinster war. Zitternd holte ich Luft. Er roch nach trockenen Steinen, wilden Kräutern und nach dem Wald, der sich schwarz und undurchdring­lich um uns herum ausbreitete. Keine Flugzeugwracks. Kein Atom­pilz am Horizont. Keine brennenden Häuser. Es war ein Traum ge­wesen.
    »Oh nein«, stieß ich hervor. »Nein ...« Ich sah an mir herunter. Ich trug nur mein dünnes Nachthemd und kniete dicht vor Colin, der abwartend an der steinernen Wand lehnte, seinen linken Arm lässig auf sein Knie gestützt. Er hatte nichts an außer seinem Karate­anzug, dessen dunkler Stoff seine weiße Haut umso mehr leuchten ließ. Seine widerspenstigen Haare hielt er durch ein schwarzes, lan­ges Stirnband im Zaum. Dennoch wanden sich einige Strähnen tänzelnd bis auf seine Nase. Schwankend erhob ich mich, drehte mich um und wollte davonlaufen. Mein Fuß prallte hart gegen ei­nen Stein. Ich taumelte vornüber und sah den gähnenden Abgrund auf mich zurasen.
    »Stopp, Ellie. So geht das nicht.« Colin griff nach meiner Taille und zog mich neben sich. Er setzte sich wieder und schmiegte sich entspannt an das verwitterte Gestein. Ich blieb stehen und schaute mich verwirrt um. Zwei finstere Türme ragten über uns auf, das Gemäuer voller Lücken, die Zinnen grob zerfressen von Wind, Eis und Regen.
    »Ich weiß nicht, ob ich wach bin oder träume!«, rief ich verzwei­felt.

    »Du bist wach«, erwiderte Colin ruhig. »Jetzt bist du wach.«
    »Wo zum Teufel sind wir?« Hatte er mich und Grischa gesehen? Ich bin es nicht, hatte Colin gesagt. Ich musste weg von hier, und zwar ganz schnell.
    »Burgruine Reichenfels«, antwortete Colin trocken. »Sollte man eigentlich kennen, wenn man hier lebt.«
    »Aber -?«
    »Du bist geschlafwandelt.« Colin seufzte kurz und streckte sich. »Ein ziemlich mieser Traum, den du da hattest. Mit so etwas kann unsereins sich gehörig die nicht vorhandene Seele verderben.«
    Ich schüttelte entgeistert den Kopf.
    »Die Schlusssequenz hingegen ...« Colins Grinsen zog sich in seine geschwungenen Mundwinkel zurück. »Bittersüß.«
    Er hatte uns wirklich gesehen. Und wie immer, wenn ich von Gri­scha geträumt hatte, fühlte ich mich so elend und verwundet, dass ich am liebsten sofort wieder in den Traum zurückgekehrt wäre.
    »Oh Gott, das darf nicht wahr sein«, murmelte ich erstickt. Auf­gebracht wandte ich mich wieder Colin zu. »Was soll das Ganze ei­gentlich? Hockst du nachts auf dieser elenden Ruine und spionierst meine Träume aus? Was bin ich für dich - so etwas wie ein Speziali­tätenbüfett? Und heute hat es dem Herrn nicht gemundet?«
    Colin lachte auf. Ich war zornig und gleichzeitig so beschämt, dass ich große Lust hatte, ihm an die Kehle zu gehen.
    »Komm her zu mir.« Er deutete neben sich.
    »Warum sollte ich das tun?« Ich rieb meine kalten Oberarme.
    »Gut, dann hole ich dich eben.« Geschmeidig stand er auf, packte mich und platzierte mich wieder neben sich. Ich drehte mein Ge­sicht von ihm weg. Die Tränen waren zu nah und ich wollte Colin keinen weiteren Imbiss gönnen. Nicht jetzt.
    »Pass auf, Ellie - ich saß hier oben, weil ich an diesem Ort gerne meditiere, wenn ich trainiert habe. Das habe ich auch schon getan, als Madame noch nicht nach Kaulenfeld gezogen war. Und ja, es ist ein guter Platz, um Träume zu - wittern. Ich spürte, dass du schlecht träumst. Also habe ich versucht, dich da rauszuholen. Alles andere lag nicht in meiner Macht.« Spielte er auf Grischa an? Ach, es war sowieso egal. Wieso sollte ich Grischa auch leugnen? Colin hatte ihn gesehen.
    »Stimmt«, sagte ich bitter. »Ich träume immer wieder von ihm. Immer und immer wieder. Ob ich will oder nicht.«
    Colin schwieg eine Weile.
    »Und es quält dich«, führte er meine Gedanken schließlich behut­sam zu Ende.
    »Ja!«, rief ich heftig. »Es quält mich und es macht mich hilflos. Ich habe nicht ein Mal mit ihm geredet. Ich hab ihn nur angesehen. Und er hat etwas in mir bewegt - was, weiß ich nicht... Es ist nicht so, dass ich mit ihm ins Bett will oder eine Beziehung führen. Aber er ist einfach hier drin und ich kriege ihn nicht mehr raus, ver­dammt!« Ich schlug meine Faust gegen mein Herz. Colin nahm sie und umschloss sie mit seinen kühlen Fingern.
    »Möchtest du, dass ich dir diese Träume stehle? Ich müsste es nur ein-, zweimal tun und sie würden nie wiederkommen.«
    Mein Atem stockte. Grischa vergessen können? Und damit auch

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