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Splitterherz

Titel: Splitterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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umfasst wurde.
    Ich schüttelte mich unwillkürlich. Rätselnd drehte und wendete ich die Karte. Eines war klar: Es handelte sich um keine normale Spielkarte. Ich vermutete etwas anderes dahinter - ich tippte auf Wahrsagerei. Vielleicht war es eine Karte, mit der man die Zukunft deutete.
    Mister X hatte den Thunfisch inzwischen vernichtet und leckte wie von Sinnen an der leeren Dose herum, wobei er sie mit einem entnervenden Scheppergeräusch über den Boden des Wintergartens schob.
    »Geh jagen«, befahl ich ihm und öffnete die Tür zum Garten. Er zierte sich ein wenig, doch dann stolzierte er lasziv von dannen.
    Kartenlegen ... Hatte Mama sich nicht während ihrer Ibizazeit damit beschäftigt? Ich erinnerte mich dunkel, dass sie mir von einer miesen Beziehung mit einem noch mieseren Kerl erzählt hatte, der ihr das Kartenlegen beibrachte. Und als sie sich selbst das erste Mal die Karten legte, hatte sie gewusst, dass sie sich von ihm trennen musste. Danach hatte sie die Karten nie wieder angerührt und ver­schenkt, obwohl sie sich vorher wochenlang damit auseinander­gesetzt hatte.
    Ich stellte den Milchreis zurück in den Kühlschrank - er schmeck­te mir sowieso nicht mehr; mit dem Essen hatte ich heute kein Glück - und suchte Mamas Nähzimmer auf. Mama pflegte eine ausgewachsene Büchermarotte. Unser ganzes Haus bestand quasi aus Büchern. Selbst im Gästeklo war ein kleines Regalbrett an­gebracht, auf dem sich vorwiegend heitere Lektüre stapelte. Ihre private Sammlung aber hatte sie seit jeher bei sich im Zimmer auf­bewahrt.
    Ich wurde allmählich müde. Trotzdem ließ ich meine Augen so aufmerksam wie möglich über das deckenhohe Regal gleiten. Das große Homöopathie-Buch. Teemischungen selbst gemacht. Traditio­nelle Chinesische Medizin. Traumdeutung. Aha, Mama also auch. Der Crowley-Tarot. Tarot ... Ich zog das Büchlein heraus und sah sofort, dass ich einen Volltreffer gelandet hatte. Es passte alles - der Malstil, die Größe der Karten, ihre fantastischen Bilder. Die Karte aus dem Türschlitz musste eine Karte aus dem Crowley-Tarot sein.
    Doch das Durchblättern des Büchleins endete in einer Enttäu­schung. Mama war nicht gerade pfleglich damit umgegangen. Etli­che Seiten fehlten und an Erklärungen und Hinweisen mangelte es. Alles, was ich nach meiner Recherche wusste, war, dass diese omi­nöse Karte die Mondkarte war. Sie stand für das Unbewusste - für den Abstieg in die Unterwelt, für Ängste, Lügen und Irritationen. Für bodenlose Tiefe.
    Das gefiel mir gar nicht. Sie kam mir wie eine Warnung vor. Es konnte ein Dummejungenstreich sein, vielleicht hatte Mister X die Karte auch irgendwo anders gefunden und bei seinen Spielereien selbst unter den Türschlitz geklemmt. Ich traute ihm alles zu. Viel­leicht meinte aber auch jemand mich damit. Mich und meine Ver­bindung zu Colin. Oder jemand wollte mir Angst einjagen. Aber Papa war weit weg in Italien und wähnte mich auf den Balearen. Er konnte es nicht gewesen sein. Womöglich stammte sie sogar von Colin selbst. Und wenn das so war, dann war sie ein weiterer Ver­such, mich von ihm fernzuhalten, mich einzuschüchtern. Warum tat er das nur? Er musste doch inzwischen wissen, dass ich so schnell nicht aufgab.
    Ich schob das Buch wieder zurück ins Regal, ging nach unten und setzte mich missmutig in den Wintergarten. Ich schmachtete Colins Brief immer noch an, aber meine Hochstimmung war verflogen. Ich fühlte mich überfordert. Trübe schaute ich nach draußen in den sonnendurchfluteten Garten. Mister X hatte offenbar gerade in Ma­mas Rosenbeet gekackt. Er schaufelte mit den Hinterbeinen hin­gebungsvoll Erde in die Luft und raste dann wie von der Tarantel gestochen im Zickzack über die Wiese, um schließlich mit schräg eingeknicktem Schwanz meinem Sichtfeld zu entfliehen. Das grelle Grün des Rasens schmerzte in meinen Augen.
    Ich schloss alle Türen ab und legte mich in meinem Zimmer auf das Bett. Schon jetzt drückte die Sommerhitze durch das Dach und machte mir das Atmen schwer. Ich sehnte den Abend herbei, wenn es endlich kühler werden würde. Jetzt konnte ich zu Colin gehen, wann immer ich wollte. Niemand würde mich aufhalten. Doch ob­wohl ich den Brief unter mein Kopfkissen geschoben hatte und ihn immer wieder hervorzog, um ihn an meine Nase zu pressen - er roch schwach nach Holz, Kaminrauch und Pferd -, ängstigte mich diese plötzliche Freiheit. Hatte ich doch fürchterlichen Mist gebaut mit meiner spontanen

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