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Splitterherz

Titel: Splitterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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diesen entsetzlich melancholischen Nachwehen der Träume ent­kommen, ein für alle Mal? Obwohl er schon vor zwei Jahren Abitur gemacht und die Schule verlassen hatte, suchten sie mich immer noch heim.
    »Das würde funktionieren?«, fragte ich hoffnungsvoll. Ich ver­suchte mir vorzustellen, wie es wäre. Keine schmerzenden Träume mehr. Es fühlte sich leer an, aber auch sehr sicher.
    »Ja, es würde funktionieren. Trotzdem möchte ich dir davon ab­raten.«
    »Warum?«, fragte ich erstaunt.
    Colin löste meine Faust und strich zart über meine verkrampften Finger.
    »Nun ja - du bist nicht die Einzige, die von derartigen Träumen heimgesucht wird. Viele Künstler haben solche Träume - Musiker, Schriftsteller, Maler ... Sie wecken Kreativität. Und das ist eine Gabe, die man nicht ersticken sollte, denn sie kann heilende Kräfte entfalten.«
    »Ich bin aber doch überhaupt nicht kreativ«, warf ich ein. Ich spielte kein Instrument, ich malle nicht und meine Aufsätze waren immer hölzern gewesen. Gut formuliert, aber ihnen fehlte die Span­nung.
    »Das würde ich so nicht sagen«, erwiderte Colin.
    »Nein?« Was bedeutete denn das nun schon wieder?
    Er schaute mich nachdenklich an, als würde er abwägen, ob er weiterreden sollte oder nicht. Dann zuckte er kurz mit den Schul­tern.
    »Stichwort Moby«, sagte er leise. »Kopfkino. So nennst du es, oder?«
    Ich riss meine Hand aus seiner und stand auf. »Das geht dich ei­nen feuchten Dreck an!« Jetzt konnte ich meine Tränen kaum mehr unterdrücken. Ich trat von Colin weg, so weit es dieses schmale Fels­plateau, auf dem wir uns befanden, erlaubte, und schaute mit ver­schwommenem Blick auf den Wald hinab. Ich hatte sie mir doch eigentlich verboten. Keine Tagträumereien mehr. Kein Kopfkino. Gut, von Grischa wusste Colin nun und es schien ihn nicht groß­artig zu stören. Aber es war nicht nur Grischa in diesen Träumereien vorgekommen, sondern auch Colin selbst ... Und die meiste Zeit war er nur unzureichend bekleidet gewesen.
    Ich wartete, bis ich meine Tränen hinuntergewürgt hatte, und drehte mich wieder zu ihm um. Ich musste ihm einen Riegel vor­schieben.
    »Bei aller Liebe -«, setzte ich an.
    »Oh«, brummte Colin und grinste.
    »Schnauze! Das ist eine Redewendung. Jedenfalls: Mir ist das zu intim. Ich will das nicht. Tu das nicht wieder. Verstanden?«
    Er tippte sich an die Stirn und senkte den Kopf, als würde er salu­tieren.
    »Sehr wohl, Madame. Aber Intimität liegt nun mal in der Natur der Sache, wenn man sich mit einem Nachtmahr einlässt.«
    Ich schnaufte gereizt. Colin erhob sich und schlenderte lautlos zu mir herüber. Er griff nach meinem Arm und zwang mich, ein paar Schritte rückwärts zu gehen.
    »Ich sehe dich nicht gern am Abgrund stehen.«
    Ich machte mich so steif wie möglich und blickte demonstrativ an ihm vorbei, als er mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht pustete.
    »Nur eines verstehe ich nicht«, fuhr er versonnen fort. »Warum blond und dann diese hellblauen Augen ohne Brauen? Elisabeth, bitte, ich dachte, du hast Geschmack. Zumindest zeigst du ihn lang­sam.« Mit einem frechen Zwinkern in den Augen berührte er mei­nen Bauch, eine dezente Anspielung auf mein einstiges Piercing.
    »Oh Herr im Himmel«, stöhnte ich und wandte mich ab. »Auch das noch.« Ja, irgendwann mit elf oder zwölf hatte ich diese Idee gehabt, dass es mir wohl besser ergehen würde, wenn ich langes, glattes Engelshaar und vergissmeinnichtblaue Augen hätte. Eine zarte Stimme und keine dichten dunklen Augenbrauen. Und immer wenn ich mir meine Kopfkinofilme ausmalte, war ich darin blond und blauäugig. Es fühlte sich einfach besser an.
    »Ich hasse dich, Colin«, fauchte ich und wischte meine Tränen weg, damit er sie nicht stehlen konnte. »Ich hasse dich so sehr.«
    »Ich dich auch, mein Herz«, entgegnete er und gab sich keinerlei Mühe, sein Grinsen zu unterdrücken. Ich hob meinen Blick und sah ihn fest an.
    Da flackerte irgendetwas in seinen Augen, das nicht zu seinem Grinsen passte. Und doch war es Zunder für meinen schwelenden Unmut.
    »Okay, nun hör mir mal zu. Ich bin kein dummes Kind, das sich rumschubsen lässt. Mein Vater wollte mir anfangs einreden, du seist ein psychopathischer Stalker - und manchmal denke ich, dass er gar nicht so falschlag. Du lässt mich herankommen und schickst mich wieder weg, wie es dir gerade passt.«
    »Nein, Ellie, so mag das vielleicht -«
    »Ich war noch nicht fertig!«, schnitt ich ihm das Wort ab. »Egal,

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