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Splitterherz

Titel: Splitterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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ganzen Körper kalt umspülte, und sah Colins Träume, für einen Wimpernschlag sah ich sie - mein lachendes Ge­sicht, meine nackte Haut, meine ausgebreiteten Haare auf dem laubbedeckten Waldboden. Und meine Tränen, die in allen Grau­schattierungen schillernd und duftend von meinen Wangen perl­ten.
    »Colin«, murmelte ich, als unsere Lippen sich voneinander lösten. Sah ich etwa Furcht in seinen Augen? Er stockte, als habe er einen Fehler gemacht. Aber das hier war kein Fehler. Es war das einzig
    Richtige, was ich jemals getan hatte. Vor allem aber hatte er mich nicht mehr weggeschickt. Heute hatte er mich zum ersten Mal blei­ben lassen. Ich hatte mitgezählt. Acht Stunden. Ich hatte in seinem Arm geschlafen, war aufgewacht und lebte noch. Und deshalb durf­te er mich auch haben. Samt meiner Gefühle, Erinnerungen und Träume. Es war ohnehin schon geschehen - ganz ohne sein Zutun.
    »Acht Stunden.« Ich lächelte. »Acht Stunden - und ich liebe dich.«
    Ich hatte meine Worte kaum ausgesprochen, da schlug er mir brutal mit der flachen Hand auf den Mund und stieß mich von sich weg.
    »Ellie - nein!«, brüllte er roh und sein Gesicht, eben noch so ge­löst, verkam zur verzerrten Grimasse. »Um Gottes willen, nicht!«
    Er wandte sich ab und stapfte mit schnellen Schritten zum Ufer. Wie versteinert blieb ich stehen. Die Scham pulsierte heiß in mei­nem Gesicht. Urplötzlich fror ich und begann am ganzen Körper zu schlottern. Ich brauchte mehrere Anläufe, bis ich mich wieder be­wegen und ebenfalls auf das Ufer zusteuern konnte.
    Meine Lippen, die doch so zart von seinen berührt worden waren, schmerzten von dem heftigen Schlag seiner Hand. Colin hatte sich bereits angezogen. Splitternackt stand ich vor ihm, frierend und zitternd. Und weinend.
    »Hör auf zu heulen«, fuhr er mich an. Louis wieherte unruhig. Ich schluchzte hilflos. Es war nicht nur Traurigkeit. Es war Scham, Zorn, Enttäuschung und Sehnsucht zugleich. Noch vor wenigen Atemzü­gen war ich so glücklich gewesen.
    »Zieh dich an«, befahl Colin mir barsch und drückte mir meine Kleider in die Hand, ohne mich anzusehen. Blind vor Tränen zerrte ich mir die Jeans über meine nassen Beine. Ich verhedderte mich und geriet ins Straucheln.
    »Herrgott, Ellie«, fluchte Colin. Er nahm mein T-Shirt und stülpte es mir lieblos über den Kopf. Für einen winzigen Moment blickte er mir in die Augen. Hart packte er mich und trank meine Tränen weg. Dann wandte er sich ab, als habe er gesündigt.
    »Geh!«, rief er und schwang sich auf Louis’ nassen Rücken. »Geh weg und komm nie wieder. Versprich es mir. Nie wieder! Ellie, bit­te.«
    »Leck mich am Arsch, Colin Jeremiah Blackburn«, sagte ich ruhig, drehte mich um und lief barfuß in den schwarzen Wald hinein.
    Jetzt war das eingetroffen, was mein Vater prophezeit hatte. Nein, Colin hatte nicht meine Träume aufgesaugt.
    Er hatte meine Seele geraubt.
    Stolpernd suchte ich mir meinen Weg, immer am Bach entlang, bis schließlich die Brücke und das Dorf vor mir auftauchten.
    Ich wusste nicht, wie es mir gelang, die Haustür aufzuschließen, mir die klammen Klamotten vom Körper zu schälen und mich ins Bett zu legen. Von ferne ertönten die ersten Donnerschläge.
    Der Herbst kam. Und der Vogel am Waldrand schrie nicht mehr.
     

    Nachrichtensperre
     
    Als ich am nächsten Morgen mit dröhnendem Schädel und ver­weinten Augen den Wintergarten betrat, saß Mama am Tisch. Sie hatte die Stirn erschöpft auf ihre Handballen gestützt und die noch gepackte Tasche lehnte wie ein lebloser Schoßhund an ihren braun gebrannten Füßen.
    »Hallo, Ellie, mein Schatz«, sagte sie tonlos, ohne aufzusehen. Es schien keine Überraschung für sie zu sein, dass ich da war.
    »Warum bist du schon zurück? Und wieso ...?«
    Sie hob den Kopf und lächelte mich müde an. Sie sah gut und miserabel zugleich aus. Ihre hellbraunen Ringellocken hatten blon­de Strähnen bekommen, ein verspielter Gruß der südlichen Sonne, und ihre Haut schimmerte in einem warmen Bronzeton. Aber um ihre Augen lagen dunkle Schatten. Ihr Gesicht war gezeichnet von Sorge und Kummer. Da waren wir ja schon zu zweit.
    »Ich bin bereits seit drei Uhr in der Frühe hier. Ich habe gleich nach dir geschaut, aber du hast so fest geschlafen, dass ich dich nicht wecken wollte.«
    Seit drei Uhr saß sie hier alleine im Wintergarten. Und ich hatte sie nicht bemerkt. Aber es stimmte - ich hatte die Nacht in einem last bewusstlosen Schlaf verbracht, ohne Träume,

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