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Splitterherz

Titel: Splitterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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untrenn­bar miteinander verbunden. Und wenn man beides tut, weiß man, warum«, sagte Colin versonnen. »Man muss sich immer wieder überwinden und lernt nie aus.« Er warf den Kimono zurück auf den Stuhl und legte erneut seine Handfläche kühlend auf meine Blutergüsse.
    »Ich weiß, was dir helfen wird. Medikamente und Salben habe ich nicht hier, weil sie bei mir überflüssig sind wie ein Kropf. Aber ich kenne eine gute Alternative. Wenn du ein paar Stunden geschlafen hast.«
    Ich sah im Geiste meinen Vater vor mir, wie er panisch mit den Armen wedelte und mit dem Mund ein riesiges NEIN formte. Doch ich vertrieb den Gedanken. Colin wirkte sehr satt und ich war sehr müde.
    Colin ließ seine Finger auf meiner Prellung ruhen, während ich mich ächzend auf die unverletzte Seite drehte und meinen Kopf ins Kissen drückte. Ich spürte, wie er sich neben mir ausstreckte.
    »Löffelchenstellung«, raunte er spöttisch. Ich lief rot an. »Gefährliche Schlüsselreize«, fügte er schmunzelnd hinzu und klatschte mir mit der flachen Hand auf den Hintern. Vielleicht würde ich ja doch nicht als emotionale Jungfrau sterben. Trotzdem rührte ich mich nicht mehr, sondern genoss es einfach zu wissen, dass er direkt ne­ben mir lag. Sein Atem kühlte meinen Nacken, bis er immer lang­samer wurde und schließlich versiegte und ich nur noch dem ener­getischen Rauschen in seinem Körper lauschte. Unter Schmerzen drehte ich mich um. Colins Augen waren geschlossen. Doch ich wusste, dass er hier war. Bei mir. Schlummernd und wach gleich­zeitig. Vielleicht träumend.
    Wie Mister X am Tag zuvor kuschelte ich mich in seine Achsel­höhle, an den weichen, uralten Stoff seines offen stehenden Hem­des, und ließ alle Ängste fallen. Augenblicklich war ich eingeschla­fen.
    Eine fruchtige Süße kitzelte erst meine Nase, dann meinen restli­chen Körper wach. Ich öffnete die Augen und blickte auf ein Tablett mit einer Karaffe klarem stillem Wasser, einer Schale Himbeeren, kaltem Braten und einigen Scheiben dieses köstlichen, nussigen Brots. Colin war nicht mehr da. Verschlafen stopfte ich mir ein paar Himbeeren in den Mund und verdrängte die Gedanken an das qualvolle Absterben meiner Leber, hervorgerufen durch die Eier des Fuchsbandwurms, die laut Herrn Schütz zu Tausenden an jedem Waldhimbeerstrauch hafteten. Mit geschlossenen Augen ließ ich die süßen Früchte auf der Zunge zergehen. Wie es aussah, hatte Colin sich eine gewisse Wertschätzung des menschlichen Essens bewahrt. Und er wusste immer ganz genau, wann ich es dringend nötig hatte. Ich überlegte kurz, ob ich während meines Nachmittagsnickerchens auf Colins Bett etwas geträumt hatte. Nein, ich konnte mich keiner Träume entsinnen, doch ich fühlte mich auch weder zermürbt noch depressiv noch mutlos oder leer. Sondern genau so, wie man sich fühlen sollte, wenn man das erste Mal neben einem Mann geschla­fen hatte, in dessen Armen man aus tiefstem Herzen das Bewusst­sein verlieren wollte: geradezu unsterblich.
    Ein dumpfes Rumpeln und Krachen von draußen bereitete mei­ner trägen Glückseligkeit ein jähes Ende. Ich nahm mir ein Stück Brot und etwas Braten, stand auf und ging an das offene Fenster. Zu meiner Überraschung sah ich, dass Colin Louis’ Koppel hinter dem Haus vergrößert hatte - Bäume und Büsche waren gefällt und gero­det worden, um einen kleinen, umzäunten Reitplatz aus dem Boden zu stampfen. Doch Louis fand daran gar keinen Gefallen.
    Kauend blickte ich von oben auf die beiden hinunter - Colin, der wie festgewachsen auf dem Pferd saß und die Zügel unerbittlich in der Hand hielt, und Louis, der zunehmend seine Grenzen austeste­te. Bei jeder Ecke brach er seitlich aus, als würden Monster auf dem Zaun sitzen, und warf den Kopf, sodass ich das Weiße in seinen Au­gen sehen konnte. Er stieg und buckelte in furchterregendem Wech­sel, versuchte rückwärtszugehen, Hüpfer zu machen, auf der Stelle zu galoppieren. Colin schwitzte nicht. Louis’ Fell aber triefte und er schnaufte, als wolle Colin ihn zum Schlachter führen.
    Ich schluckte, nahm mir noch eine Scheibe Brot für unterwegs mit und lief die Treppe hinunter nach draußen, um notfalls recht­zeitig einen Krankenwagen für Reiter oder Pferd organisieren zu können.
    Sobald ich neben dem Zaun stand, rastete Louis vollends aus. Mit rasendem Herzen wich ich zurück und drückte mich schutzsuchend gegen eine schmale Birke, als Louis direkt vor mir seinen schweren Körper gegen die

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