Splitterherz
hinunter. Er sollte mich dabei bloß nicht beobachten. Schilfhalme kitzelten mich in der Kniekehle und ich hörte, wie ein Frosch hüpfend die Flucht ergriff.
Colin hörte es auch. Langsam drehte er sich um und betrachtete mich ausgiebig. Ich ließ mir nicht anmerken, dass ich seine Blicke registriert hatte, und tauchte vorsichtig den rechten Fuß unter.
»Na komm schon, Medusa«, sagte er leise.
Das Wasser war eiskalt. Wie kann es bei einer solchen Hitze so eisig sein, dachte ich noch - und verlor beim nächsten Schritt den Halt. Der Untergrund brach ins Nichts ab. Prustend versank ich im dunkelgrünen Dämmer des Baches, spürte Schlingpflanzen unter meinen Zehen wabern und den glatten, sich windenden Leib eines Fisches an meinen Waden.
Warm und lockend umfing mich die Sommernacht, als ich nach einigen langen, atemlosen Schwimmzügen wieder auftauchte. Ich hatte ganz vergessen, wie wohl ich mich im Wasser fühlte. Meine Prellungen und mein blaues Auge schmerzten nicht mehr. Nun hatte ich Colin fast erreicht. Ich konnte wieder stehen. Meine Zehen versanken weich im schlüpfrigen Bachbett.
Glühwürmchen setzten sich auf Colins feuchte Haare, die sich wie nasse, schwarz glänzende Schlangen in das bläuliche Mondlicht wanden. Die Strömung umstrudelte uns und ich geriet kurz ins Schwanken. Ganz selbstverständlich, als wäre es nie anders gewesen, griff ich nach Colins Arm und schwebte schwerelos zu ihm hinüber. Die Wasserperlen verdampften sekundenschnell auf seiner Haut. Ich hingegen war tropfnass. Mein vollgesogenes Haar schlang sich schwer um meinen Nacken.
Colin schaute zum Ufer und legte die Hände wie einen Trichter um seinen Mund.
»Nun stell dich nicht so an, du blödes Pferd«, rief er. Louis’ Schatten verharrte fast statuenhaft an der Böschung.
»Er hat Angst vor Wasser«, drehte sich Colin erklärend zu mir um. Ich musste lachen und kreiste verspielt meine Arme, um nicht von der Strömung mitgerissen zu werden.
Colin ließ mich los und watete nach vorne, hin zu einer seichteren Stelle inmitten des Baches. Wie ein Geist erhob sich seine schmale, muskulöse Gestalt aus dem glitzernden Schwarz der Strömung. Mit beiden Armen schaufelte er Wasser in Louis’ Richtung.
»Trau dich!«, lachte er. Wasserperlen besprenkelten seinen Körper und funkelten wie Diamanten. Louis wollte zu ihm, aber er konnte sich nicht überwinden. Aufgeregt trabte er am Ufer auf und ab.
Jetzt die Zeit anhalten, dachte ich. Für immer. Diesen Moment mein Leben lang. Hier, im eiskalten Wasser, bei Colin und seinem bescheuerten Pferd.
Ich schien eins zu werden mit dem Bach, dem Himmel und dem Wald, als ich auf Colin blickte, wie er bis zu den Oberschenkeln im Wasser stand und selbstvergessen sein störrisches Tier zu sich zu locken versuchte. Sein kleiner knackiger Hintern leuchtete bleich im Mondschein auf und seine gereckten Schulterblätter zeichneten sich in dunklen Kurven auf seinem Rücken ab.
Mit zwei kraftvollen Schwimmstößen hatte ich ihn erreicht und schlang von hinten meine Arme um seinen Hals.
»Pech gehabt!«, strafte er den eifersüchtig schnaubenden Louis ab, der sich immerhin bis ins seichte Uferwasser vorgewagt hatte, und griff nach meinen Schenkeln. Augenblick, dachte ich, obwohl es mir schwerfiel, überhaupt einen vernünftigen Gedanken zu fassen. Colin war doch mit Louis durch das Bachbett galoppiert, um mich zu retten. Und Louis hatte Angst vor Wasser?
»Jetzt weißt du, dass auch ich sehr stur sein kann«, flüsterte Colin in mein Ohr und marschierte mit mir huckepack Louis entgegen.
Resolut packte er ihn am in der Strömung baumelnden Führstrick und zog ihn zu uns herunter. »Hab keine Angst«, beruhigte er mich und löste meine Arme behutsam von seinem Nacken. »Schau nur!« Als habe Louis auf einmal begriffen, dass Wasser etwas sehr Schönes sein konnte, ließ er sich in die Strömung gleiten und schwamm mit rudernden Beinen auf Colin zu. Sein lautes Prusten schreckte ein paar Vögel auf, die im Dickicht neben dem Ufer geschlafen hatten.
Colin hielt mich fest bei sich, als Louis wie ein unbeholfenes Seeungetüm kurz vor uns kehrtmachte und das Weite suchte. Lachend sah Colin ihm nach.
Dann wandte er sich mir zu. »Und jetzt du«, sagte er leise, nahm mein Gesicht in seine Hände und sah mich lange an. Zuerst berührten sich unsere Stirnen, dann legte er seine Lippen kühl auf meine. Die Welt gab kurz nach. Ich schmeckte das süße, erdige Wasser des Baches, das meinen
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