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Splitterherz

Titel: Splitterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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Die Familie war versammelt und feierte be­reits vergnügt, während ich barfuß durchs Haus irrte und meine Hochzeitsschuhe suchte. Und nicht fand. Dafür fand ich Hunderte von Sandalen und Ballerinas und Stiefel, die ich mir irgendwann einmal gekauft und nur ein einziges Mal getragen hatte - selbst niedliche Schühchen aus meiner Kindheit fielen mir plötzlich in die Hände. Doch die Brautschuhe fehlten.
    Aus diesem Traum wechselte ich nahtlos in eine Schwimmhalle, wo der iranische Staatsminister einer Gruppe von Mädchen Unter­richt gab. Natürlich gehörte auch ich zu diesen Mädchen. Wir mussten kraulen und rückenschwimmen bis zur Erschöpfung, und weil ihm das nicht genügte, musste ich anschließend nackt verschie­dene Sprünge vom Einmeterbrett absolvieren. Wenn ich das nicht zu seiner Zufriedenheit schaffte, würde er, so drohte er unentwegt, den Rest der Welt mit Atombomben bewerfen.
    Und dann gab es immer wieder Träume, in denen ich durch frem­de Häuser und Wohnungen irrte und stundenlang ein Eckchen suchte, in dem ich mich endlich schlafen legen konnte. Ungestört und unbeobachtet. Doch dieses Eckchen gab es nicht.
    In einen solchen Traum rutschte ich auch in den Morgenstunden vor dem ersten Schultag, den ich fast noch mehr fürchtete, als ich es nach unserem Umzug getan hatte. Denn jetzt hatte ich sämtliche Hoffnungen begraben, dass ich mich jemals eingliedern würde. Das Schlimme aber war, dass ich es nun tun musste. Denn die andere Welt, Colins Welt, hatte sich für mich verschlossen.
    Ich spazierte also wieder durch eine verwinkelte, chaotische Woh­nung, ein Zimmer unordentlicher als das andere. Überall stapelte sich Gerümpel und altes Geschirr. Manche Räume waren riesig; es standen gleich mehrere Sofas nebeneinander, doch die Decken hin­gen so niedrig, dass ich Angst hatte, mich darunter niederzulassen.
    Endlich fand ich ein Zimmer mit einem freien Bett. Sogar eine Wolldecke gab es, die ich über meinen frierenden Körper ziehen konnte. Auch dieser Raum war mir nicht geheuer, aber ich war so müde, ich musste einfach schlafen. Ich legte mich hin, auf dieses altmodische weiche Bett, das zwischen ein übervolles Bücherregal und eine endlose Reihe rostiger Waschbecken mit tropfenden Häh­nen gequetscht worden war, ließ meinen Kopf ins Kissen sinken und sah von oben eine Spinne auf mich herunterfallen - und sah eine Spinne auf mich herunterfallen, mit weit gespreizten pechschwarzen Beinen, den Leib aufgestellt, die Fangarme bereit. Ich hechtete aus dem Bett und begann schon auf dem Weg zum Lichtschalter über meine eigene Dämlichkeit zu fluchen. »Das müsstest du doch langsam kennen«, knurrte ich mich selbst an. Trotzdem drückte ich den Schalter. Ich musste sowieso auf die Toi­lette.
    Ohne einen Blick auf mein Bett zu werfen, ging ich aufs Klo und schlurfte schlaftrunken, wenn auch mit hämmerndem Herzen, in mein Zimmer zurück. Ich knipste das Licht aus und wollte mich gerade ins Bett fallen lassen, da hielt mich eine minimale Bewegung auf dem Leintuch in letzter Sekunde zurück. Schwankend griff ich nach dem Nachttisch, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Zu spät. Ich stürzte nach hinten und schlug mit dem Hinterkopf gegen eine Querstrebe des Paravents. Doch ich ignorierte den Schmerz. Hastig suchte ich nach dem Kabel meiner Nachttischlampe.
    Das war kein Traum gewesen. Da hatte sich etwas bewegt. Auf meinem Laken.
    »Scheiße«, keuchte ich, als ich den Schalter endlich gefunden hat­te und die Lampe mein Bettzeug erhellte. Ich rannte ins Bad, riss meinen Zahnputzbecher aus der Verankerung, rannte zurück ins Zimmer und stülpte ihn mit einer einzigen sicheren Bewegung auf die Spinne. Sie passte gerade so darunter und sprang aggressiv ge­gen das dünne Glas. Ihre Fangarme vibrierten. Zitternd hielt ich den Becher fest.
    Das war keine haarige Kellerspinne. Das war auch keine Kreuz­spinne. Kreuzspinnen krabbelten nicht über Zimmerdecken und ließen sich dann fallen. Sie blieben in ihrem Netz und warteten ge­duldig auf Beute. Das wusste ich, denn ich duldete inzwischen fast in jedem meiner Fenster eine Kreuzspinne samt Netz und Beute.
    Diese Spinne sah anders aus. Ich hatte eine solche Spinne noch nie zuvor gesehen und trotzdem kam sie mir vage bekannt vor. Sie hatte einen kräftigen länglichen Leib, den sie nun drohend auf und ab bewegte, und eine rote Zeichnung auf dem Rücken. Ihre aus­geprägten gebogenen Fangarme standen charakteristisch nach vor­ne. Am meisten aber

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