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Splitterherz

Titel: Splitterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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ohne zwischen­durch aufzuwachen oder mich umzudrehen. Als die Sonne mir so erbarmungslos auf die geschlossenen Lider schien, dass der Schlaf keine Chance mehr hatte, sah ich kurz Colins lächelndes Gesicht vor mir, das Funkeln in seinen Augen und die Glühwürmchen in seinen züngelnden Haaren, bis mir schlagartig einfiel, was geschehen war. Und dann hatte ich es in meinem Bett nicht mehr ausgehalten. Jetzt stockte Mama und schaute mich genauer an.
    »Mein Gott, Ellie, wie siehst du denn aus?«
    »Das ist nicht so schlimm«, sagte ich ausweichend. Wahrschein­lich mein Auge. Nun spürte ich auch die Prellungen wieder. Noch eine schmerzhafte Erinnerung an das, was passiert war. Selbst ein Optimist hätte zugeben müssen, dass die Bilanz meiner ersten Sommerferien allein zu Hause ernüchternd war. Ich war verprügelt wor­den, hatte meine Eltern belogen, meine alten Freundinnen vergrault und innerhalb von zwei Tagen zwei neue Freunde verloren. Einen davon liebte ich.
    »War er das?«, fragte Mama vorsichtig. Ich lachte verbittert auf. Gut, indirekt war er es gewesen. Indirekt hatte er mir alles ruiniert. Wirklich alles.
    »Nein«, antwortete ich dennoch kurz. Ich wollte nicht über mich und schon gar nicht über Colin reden. »Das ist alles viel zu kompliziert, Mama«, sagte ich und konnte nicht verhindern, dass meine Stimme brach. Ich wollte und konnte mit niemandem darüber re­den. Nicht jetzt. Vielleicht, wenn ein wenig Zeit vergangen war.
    »Wo ist Papa? Und warum seid ihr jetzt schon wieder da?«
    Ich goss mir ein Glas Wasser ein. Meine Kehle war wie ausgedörrt.
    »Papa ... Papa ist noch in Italien.«
    Ich ließ das Glas sinken, bevor ich es an meine Lippen geführt hatte. Papa war noch in Italien. Das klang nicht gut. Mir kam all das in den Sinn, was Colin mir über Papas mysteriösen Nebenjob erzählt hatte. Ich plumpste atemlos auf den Stuhl. Für einen Moment wurde mir so schwindelig, dass ich die Augen schließen musste, um nicht vornüberzukippen.
    »Hat es etwas - etwas damit zu tun?«, fragte ich angstvoll, nach­dem ich mich einigermaßen gefangen hatte.
    Mama nickte nur. Dann versuchte sie, tapfer zu lächeln.
    »Er hat mich zurückgeschickt, nachdem er erfahren hatte, dass du nicht auf Ibiza bist, sondern hier. Er war außer sich vor Sorge.«
    Ich stöhnte und rieb mir meine brennenden Lider. Mein verletztes Auge war immer noch geschwollen. Oder wieder, vom vielen Wei­nen?
    Ich hatte nicht die Energie, dieses zermürbende Frage-Antwort- Spiel weiterzuführen. Ich konnte eins und eins zusammenzählen. Der Anrufer - er musste mit Papa Kontakt aufgenommen haben, in Italien. Und Papa erfuhr dadurch, dass ich zu Hause war. Und nicht im Urlaub auf Ibiza. Ich hatte zwar keine Ahnung, wie der Anrufer Papa nach meiner vagen »In Italien«-Auskunft hatte finden können, aber es war eben ein Mahr gewesen. Die waren mit menschlichen Kategorien nicht zu begreifen. Umso mehr verstörte es mich, wie erniedrigend menschlich Colins Abfuhr gestern gewesen war. Eine Frau sagt einem Mann, dass sie ihn liebt, und er ergreift die Flucht. Schickt einen weg. Bindungsangst. Das war furchtbar banal. Eigent­lich zu banal für Colin. Aber es war geschehen. Und im Grunde nur die logische Fortführung dessen, was sich zuvor bereits angebahnt hatte. Was waren schon acht Stunden ... Wie ein Triumph hatten sie sich angefühlt. Welch ein Irrtum.
    »Er hat mir nur eine Nachricht hinterlassen«, sprach Mama ge­dankenverloren weiter. »Er müsse dringend etwas erledigen. Es sei wichtig. Und er könne nicht abschätzen, wie lange er dafür brauche. Ich solle nach Hause zurückkehren und mich um dich kümmern. Die Klinik wisse Bescheid. Das war alles. Ich weiß nicht, wann er wiederkommt, und auf dem Handy kann ich ihn nicht erreichen. Das alte Lied eben.«
    »Das alte Lied?«, fragte ich misstrauisch.
    »Ich mache das nicht zum ersten Mal mit, Ellie«, sagte Mama re­signiert und unterdrückte ein Gähnen. »Es geschieht häufiger seit einigen Jahren. Und ich komme immer weniger gut damit klar. Aber bisher kehrte er stets zurück, gesund und munter. Also lass uns hof­fen, dass es auch dieses Mal so sein wird.«
    Sie glättete das Tischtuch und fegte mit den Händen ein paar Krümel zusammen.
    »Und jetzt?«, fragte ich und mich überfiel die beißende Erinne­rung, dass ich genau diese Worte Colin gefragt hatte, bevor ich mich an seiner Seite ins Bett kuscheln durfte. Es lag nicht einmal einen Tag zurück. Ich biss mir auf die

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