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Splitterherz

Titel: Splitterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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alarmierte mich ihre Farbe - ein schwärzliches Dunkelbraun, das giftig glänzte.
    Ich angelte nach dem Reclamheftchen auf meinem Nachttisch (Huis clos von Sartre - wie passend) und schob es vorsichtig unter den Rand des Glases. Der Wunsch, beides loszulassen und zu flie­hen, war fast übermächtig. Denn die Spinne wehrte sich. Beharrlich versuchte sie, ihren Leib unter dem Rand des Glases durchzuquet­schen. Doch ich war schneller. Sie musste sich geschlagen geben.
    Ich atmete tief durch. Hier konnte sie nicht bleiben. Mit Sicher­heit würde sie versuchen, das Glas wegzudrücken. Ich legte einen Schuhkarton über die gefangene Spinne und hastete nach unten in den Keller, um eins von Omas Einmachgläsern aus dem alten Kü­chenschrank zu nehmen, wo sie nun gelagert wurden. Die Truhe war immer noch leer. Papa war samt Safe in Italien. Bei den Mahren. Von einer lähmenden Schwäche gepackt musste ich mich kurz an die Wand lehnen. Oh Papa, bitte komm du wenigstens zurück, dachte ich. Bitte.
    Dann riss ich mich zusammen und lief wieder nach oben. Mit spitzen Fingern hob ich den Schuhkarton hoch. Ich schob meine flache Hand unter das Buch, presste es fest auf den Zahnputzbecher und drehte beides mit Schwung um. Gut. Nun kam der gefährlichs­te Teil. Blitzschnell zog ich das Buch weg, und bevor die Spinne in die Freiheit springen konnte, setzte ich das offene Einmachglas auf den Rand des Bechers. Mit einem weiteren kräftigen Schwung kipp­te ich die zappelnde Spinne in das Glas und schraubte mit bebenden Händen den Deckel darauf, bis er knackte.
    »Igitt«, rief ich angeekelt und schüttelte mich. Meine ganze Haut kribbelte und ich hätte am liebsten laut geschrien. Aber ich wollte Mama nicht wecken. Immerhin konnte sie jetzt ungestört schlafen, solange Papa nicht da war - zog man die Stunden ab, in denen sie wach vor Sorge im Wintergarten auf und ab tigerte. Doch wir hiel­ten uns beide mit dem Gedanken aufrecht, dass keine Nachrichten gute Nachrichten waren. Jetzt hatte ich allerdings keine Zeit, mich um meinen Vater zu grämen.
    »Was mach ich nur mit dir?«, fragte ich halblaut. Die Spinne war schön und schrecklich zugleich. Haarige Kellerspinnen waren de­finitiv hässlicher. Dieses Exemplar sah fast aristokratisch aus. Nun wusste ich wieder, wo ich sie schon einmal gesehen hatte. Mir rasten mehrere kalte Schauer über den Nacken, als ich die Nachttisch­schublade aufzog und die Tarotkarten herausholte. Die Mondkarte. Die Mondkarte mit der langbeinigen Spinne im unteren Drittel. Sie sahen einander tatsächlich verblüffend ähnlich.
    Und ich war mir fast sicher, dass die Spinne, die sich in ihrem gläsernen Gefängnis tot stellte, giftig war. Deshalb hatte ich sie ge­fangen und nicht erschlagen. Ein Tötungsversuch hätte böse für mich ausgehen können. Viele Gifttiere setzten ihre Beißwerkzeuge genau dann ein, wenn sie sich bedroht fühlten.
    Und ich hatte sie auch deshalb nicht getötet, weil mir meine In­tuition sagte, dass ich sie beobachten musste. Ich wunderte mich über mich selbst. Doch solche Phasen hatte ich schon einmal ge­habt. Nachdem ich aufs Gymnasium gekommen war und die Ein­samkeit sich immer mehr verschärfte, hatte ich mir in meiner Ver­zweiflung von meinen Eltern ein Mikroskop zu Weihnachten gewünscht und in meinen freien Stunden Pantoffeltierchen und andere Mikroben gezüchtet, um sie unter hauchdünnes Glas zu le­gen und in hundertfacher Vergrößerung zu betrachten. Jahre später ging ich mit Nicole und Jenny shoppen, anstatt in bauchigen Glä­sern Wasser und Laub vor sich hin gammeln zu lassen, doch die Passion war geblieben. Daher auch der Biologie-Leistungskurs. Mo­ment. Mein Biologielehrer - Herr Schütz war nett. Und er mochte mich. Das hatte ich schon bei der Exkursion im Frühsommer ge­merkt. Ihn musste ich fragen. Vielleicht konnte er mir sagen, was da von meiner Zimmerdecke gefallen war.
    Sosehr ich ihn auch in Gedanken kreuzigte und versteinerte und entmannte und vieles andere mehr, war ich mir doch relativ sicher, dass diese Spinne nicht von Colin stammte. Weshalb sollte er so et- was auch tun? Er hatte ja Erfolg gehabt. Ich ließ ihn in Ruhe. Das, was er sich offenbar so sehnlichst gewünscht hatte. Weiß der Hen­ker, warum.
    Ich stellte das Glas auf meinen Schreibtisch und stach mehrere Luftlöcher in den Deckel. Eine lebendige Spinne ließ sich besser be­obachten als eine tote. Sauerstoff sollte sie bekommen.
    Wach lag ich auf meinem Bett und wartete, bis der

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