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Splitterherz

Titel: Splitterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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ge­nau das die Lösung. Eine Freiwilligkeit nach der anderen. Dann würde ich gar nicht erst dazu kommen, an Colin zu denken. Herr Schütz lächelte anerkennend.
    »Ja, das ist keine schlechte Idee. Aber in diesem Glas kann sie nicht bleiben. Wir müssen ihr schon ein besseres Zuhause geben.«
    Es widerstrebte mir zutiefst, für die Spinne zu sorgen. Doch ir­gendetwas in mir zwang mich dazu. Mit vereinten Kräften und ru­higer Hand setzten wir sie in ein kleines Terrarium um. Sie bekam eine knorrige Wurzel und feinen Sand. Zum Schluss reichte Herr Schütz ihr eine Grille, die zwischen den Metallspitzen seiner Pinzet­te um ihr Leben zappelte. Gierig stürzte sich die Spinne auf das In­sekt und begann es einzuweben. Ich konnte kaum hinsehen.
    Eine halbe Stunde später - es war dunkel geworden - saß ich mit einem schweren Karton, gefüllt mit einer hochgiftigen Spinne und einer Handvoll (noch) lebender Zikaden, und meinem Schulrucksack im Pizzaimbiss und stocherte lustlos in meinen Rigatoni he­rum. Es aß sich nicht besonders gut, wenn ätzender Liebeskummer die Kehle zuschnürte und die einzige Gesellschaft in einer mediter­ranen Giftspinne bestand, die Mama dank ihrer Vorliebe für exo­tische Obstsalate ins Haus geschleppt hatte. Und mir verging spä­testens in dem Moment gründlich der Appetit, als ich Colins Wagen auf der Straßenseite gegenüber erkannte. Schon das ganze einsame Essen lang hatte ich dumpf auf das Auto gestarrt, ohne zu begreifen, was ich da eigentlich sah.
    Aber natürlich - Schulanfang. Colins Wagen. Die Turnhalle. Gab er wieder Spezialtrainingseinheiten - nur für Jungs? Das passte ja. Ein weiteres Indiz für seine ausgewachsene Frauenphobie.
    Nun zögerte ich das Ende meiner Mahlzeit künstlich hinaus, ob­wohl ich der einzige Gast war und keine einzige Nudel mehr hinun­terzwängen konnte. Aber ich wollte abwarten, ob irgendwelche Ka­rateka die Halle verließen. Und dann Colin folgte. Doch die Straße blieb menschenleer.
    Okay, warum nicht, dachte ich, stand auf und zahlte. Er ist da drüben, ich bin hier. Ein dummer Zufall. Und ich wäre noch düm­mer, wenn ich ihn nicht nutzen würde. Ganz gewiss nicht würde ich betteln oder weinen. Aber ich hatte ein Recht darauf zu wissen, wa­rum er sich so aufgeführt hatte. Das war er mir schuldig.
    Mit dem Rucksack in der einen und dem Spinnenbehälter in der anderen Hand - die Zikaden zirpten nichts ahnend vor sich hin - drückte ich die Hallentür auf. Es war still. Kein Stimmengewirr aus den Umkleidekabinen. Keine rauschenden Duschen. Nur die Neon­leuchte flimmerte klickend vor sich hin.
    Ich machte mir nicht die Mühe, durch das Galeriefenster zu bli­cken. Ich stellte den Rucksack und die Spinne oben ab - zugegeben in der leisen Hoffnung, jemand würde die Witwe stehlen - und nahm die Stufen nach unten. Ich musste mich mit dem ganzen Kör­per gegen die Tür werfen, damit sie nachgab. Als ich es geschafft hatte, hielt ich sie mit dem rechten Fuß auf und zelebrierte eine übertriebene Verbeugung. Colin drehte mir den Rücken zu. Ich hat­te nichts anderes erwartet. Trotzdem wallte das Blut in mir auf, als ich ihn sah. Ich hatte ihn vermisst. Vor lauter Aufregung begann meine Stirn zu schmerzen.
    Colin war damit beschäftigt, einen Punchingball windelweich zu schlagen. Mit den Handkanten, den Fäusten, dann mit den Füßen. Immer höher hängte er ihn, bis er springen musste, um ihn zu tref­fen. Man konnte Angst bekommen, wenn man ihm dabei zusah, wie er lautlos durch die Luft wirbelte und die Galeriefenster klirren ließ, sobald er zum Tritt ausholte. Ich aber war immer noch zu zornig, um Angst zu spüren. Fast wünschte ich mir, er würde etwas mit mir anstellen, das meine Wut endgültig in Hass umschlagen ließ.
    »Na? Macht’s Spaß?«, durchbrach ich die Stille, als er den Pun­chingball erneut ein Stück nach oben versetzte.
    Er war so schnell bei mir, dass ich keine Chance hatte zu reagieren. Schon hatte er mich ohne ein Wort aus der Tür geschoben. Sein Griff war unmissverständlich. Er wollte mich hier nicht haben.
    Ich tat so, als würde ich mich fügen. Er ließ los, und so schnell ich konnte, duckte ich mich und schoss an ihm vorbei zurück in die Halle. Es wäre ihm ein Leichtes gewesen, mich zu packen und davon abzuhalten. Warum tat er es dann nicht?
    Jetzt bekam ich doch Angst. Ich hatte mich selbst in die Falle ma­növriert. Die Tür war ins Schloss gerumst und Colin stand mit ab­grundtief finsterem Blick davor.

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