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Splitterherz

Titel: Splitterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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Seine Augen funkelten so drohend, dass ich mich kurz abwenden musste. Doch dann hielt ich stand.
    »Warum?«, herrschte ich ihn an. »Angst vor Frauen? Ödipuskom­plex?« Ich genoss die Anspielung auf Tessa. Sie war gemein, doch sie bereitete mir eine flüchtige Genugtuung.
    »Du weißt nicht, wovon du sprichst.« Seine Stimme klang eiskalt. Noch immer lehnte er an der Tür und verschränkte die Arme. Er war barfuß und trug nur diesen lächerlich alten Kampfkimono; so­gar der Gürtel hatte sich gelöst. Und dennoch strahlte er eine un­beugsame Kraft aus. Es war höllisch schwer, sich davon nicht ein­schüchtern zu lassen.
    »Verdammt, dann sag es mir!«, forderte ich ihn wutentbrannt auf und ging ein paar Schritte auf ihn zu. Er rührte sich nicht, sondern schaute mich nur an. Als wolle er nicht wahrhaben, dass ich da war. Als hoffe er, dass ich mich innerhalb der nächsten Sekunden in Luft auflöste. Aber das tat ich nicht.
    »Colin, das darf doch alles nicht wahr sein! Warum hast du das gemacht? Wir waren doch gerade glücklich!«
    »Ja, genau - glücklich«, fuhr er mich an. »Genau das. Abmarsch.« Er trat zur Seite und deutete auf die Tür. War das jetzt eine besonders abstruse Form von Zynismus? Ich verstand ihn nicht. Und ich glaubte, wahnsinnig zu werden, wenn sich die Situation nicht sofort zum Guten wendete. Mit erhobenen Händen ging ich auf ihn los, außer mir vor Schmerz und Zorn. Ich trat ihn und schlug ihn, trommelte mit den Fäusten gegen seine kühle Brust. Er blieb re­gungslos stehen und wartete einfach ab, bis ich mich beruhigte. Keiner meiner Schläge oder Tritte schien auch nur den Hauch eines Schmerzes auszulösen. Colin wankte nicht einmal.
    Es hatte keinen Sinn. »Warum?«, fragte ich noch einmal, mehr für mich selbst als an ihn gerichtet, und wollte gerade meine Fäuste sinken lassen, da griff er plötzlich nach meinen Unterarmen und zog mich an sich, hielt mich für Sekunden fest, meinen Kopf an seinen Hals geschmiegt, sodass ich das Rauschen in seinem Körper spüren konnte. Dann ging ein Ruck durch seine Brust, fast wie ein schmerzvolles Stöhnen, und er drückte mich von sich weg. Seine unerwartete Umarmung hatte mich so überwältigt, dass ich nicht mehr aus eigener Kraft stehen konnte. Doch noch hielt er mich.
    »Ellie«, sagte er leise und nun sah ich, dass seine Augen nicht nur finster blickten. Sondern auch so zermürbt und müde, dass es mir die Seele aus dem Leib riss. »Das ist es. Genau das ist der Punkt. Wir waren glücklich. Vor allem waren wir es zu lange. Und das ist - das ist nicht für mich bestimmt.«
    Ich wusste nicht, was er getan hatte, aber als ich wieder bei mir war und klare Gedanken fassen konnte, beobachtete ich mich dabei, wie ich in den letzten Bus nach Hause stieg, Rucksack und Spinne bei mir, dem Fahrer artig mein Kärtchen vorzeigte und mich auf den letzten Platz setzte. Die Minuten davor - totaler Filmriss. Ich konnte mich an nichts erinnern. Irgendetwas hatte er mit mir ge­macht. Freiwillig hätte ich die Halle jedenfalls nicht verlassen.
    Die ganze lange Heimfahrt über dachte ich mich immer und im­mer wieder in Colins Umarmung zurück. Er hatte mich umarmt. Er hatte mich gemeint. Ich hatte ihn nicht dazu genötigt. Und dann redete er so einen Mist. Zu lange! Acht kurze Stunden. Das war nicht lange. Das war ein Witz. Es machte mir Angst.
    Entweder hatte er wirklich ein massives seelisches Problem, ein Problem, an das ich kaum mehr glaubte. Oder es walteten Mächte, von denen ich bisher nichts geahnt hatte.
    Und trotzdem. Er durfte nicht erwarten, dass ich mich damit zu­friedengab. Nicht mit Andeutungen und Befehlen. »Tut mir leid, Colin. So nicht«, flüsterte ich vor mich hin und der rotwangige
    Junge vor mir, der eben noch damit beschäftigt gewesen war, seinen Kaugummi unter den Sitz zu schmieren, drehte sich um und schau­te mich rätselnd an.
    Im Hausflur stolperte ich gegen einen wuchtigen Lederkoffer, der mitten im Weg stand. Beinahe glitt mir die Kiste mit dem Terrarium aus den Händen. Im letzten Moment bekam ich sie zu greifen und stellte die Spinne samt Behausung sicher auf der Treppenstufe ab, bevor ich in den Wintergarten stürzte.
    »Papa!«
    »Wie geht es dir, Elisa?«, fragte er. Ohne ein »Hallo«, ohne ein »Wie schön, dich zu sehen«. Seine Haare wellten sich ungestüm und seine tiefblauen Augen blickten mich an, als hätte er Wochen nicht geschlafen und ununterbrochen nachgedacht. Sie leuchteten inten­siv wie immer, jedoch

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