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Splitterherz

Titel: Splitterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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ihren Mundwinkeln mischten sich die Lippenstiftkrü­mel mit wässrigem Speichel, der als rötlicher Brei zu Boden tropfte.
    Jetzt entdeckte sie den Kilt. Ein kehliger Schrei löste sich aus ihrer bleichen Kehle. Sie warf sich zitternd gegen die Wand und rieb ihren Unterleib lüstern an dem Karostoff. Besitzergreifend grub sie ihre Finger in das Gewebe. Ihre spitzen Nägel hinterließen lang gezogene Risse. In jenem Kilt, mit dem Colin mich gewärmt hatte. Ich auf seinem Schoß. Mein Kopf an seiner Brust.
    Als habe sie meine Gedanken gespürt, fiel sie dumpf zu Boden, sprang in Sekundenschnelle auf alle viere und drehte sich zuckend um. Wieder schnoberten ihre Nüstern. Ich jedenfalls war mit mei­nen Nerven und meiner Geduld am Ende.
    »Hallo!«, rief ich gereizt und machte ausladende Winkbewegun­gen mit beiden Armen. »Können Sic mich sehen? Hören? Jemand zu Hause?«
    Tessa steuerte hungrig den Bauernschrank neben dem Fenster an, riss die Türen auf und begann mit fliegenden Händen in Cohns Kleidern zu wühlen. Immer wieder rieb sie seine Hemden und Ho­sen an ihrem Unterleib, drückte sie an ihre weichen Brüste oder leckte schmatzend an ihnen.
    Langsam begriff ich, was hier los war. Tessa sah und hörte mich tatsächlich nicht. Vermutlich konnte ich nackt um den Kamin hüp­fen oder mich vor ihren Augen am Kronleuchter erhängen - sie würde mich keines Blickes würdigen. Ich war nicht interessant für sie. Ich war ein schwaches, kleines Menschlein, das sie mit einer Handbewegung vernichten konnte, wenn sie wollte. Ich konnte nichts gegen sie ausrichten. Gar nichts. Sie holte sich lediglich Ap­petit an Colins privatesten Sachen, an alldem, was ich liebte, seinen verwaschenen Hemden, die immer zu weit offen standen, seinem Kilt, der mich gewärmt hatte, seinen schmalen Hosen, die ihm so verboten gut standen, den Fotos aus jener Zeit, zu denen er noch mehr Mensch als Mahr gewesen war. Und Alisha noch am Leben.
    Ich war für Tessa weniger als Luft. Ich musste Zusehen, wie sie hier, vor meinen Augen, ihr abartiges Vorspiel praktizierte und sich dann auf die Suche nach Colin machte.
    Schon war sie auf dem Weg zum oberen Stockwerk. Nein. Nein, nicht ins Schlafzimmer, nicht auf Colins Bett. Alles, aber nicht das. Ich stürzte ihr hinterher und wollte an den muffigen Säumen ihrer Gewänder ziehen, damit sie stolperte, als sie schlagartig innehielt und langsam den Kopf drehte. Fest sah ich zu ihr hoch. Wennschon, dann wollte ich Angesicht in Angesicht mit ihr sterben. Doch sie schaute mich immer noch nicht an. In ihren Augen stand die pure Gier. Ihr kehliges Gurren ging in ein Grollen über, das jegliche Kraft aus mir zog. Wieder musste ich mich am Geländer der Treppe fest­krallen, um nicht zu stürzen.
    Flink wie ein Wiesel sauste sie auf ihren winzigen Füßen die Stu­fen hinunter und flog auf die Tür zu. Der wabernde Geruch aus ih­ren wehenden Gewändern raubte mir den Atem und drehte meinen Magen um. Ich schmeckte Galle auf meiner Zunge. Aber ich hatte jetzt keine Zeit, mich zu übergeben.
    Sie hatte irgendeine Fährte aufgenommen. Oh Gott. Hatte sie Co­lin geortet? Ging es so schnell? Oder war er etwa zurückgekehrt, weil er fürchtete, dass ich immer noch da war? Verschwinde, Colin, bettelte ich in Gedanken und verbot mir im gleichen Moment, sei­nen Namen ein weiteres Mal in mein Gedächtnis zu rufen. Mögli­cherweise würde das Tessas Jagd nur beschleunigen.
    Ich rannte ihr hinterher und schaffte es gerade noch, mich nach ihr durch die zufallende Tür zu zwängen. Mit wiegenden Schritten, die Arme immer noch ausgebreitet und den Kopf weit in den Na­cken gelegt, sodass ihre züngelnden Haare beinahe den Boden be­rührten, bewegte Tessa sich in Kreisen über den matt schimmern­den Kies. Es war fast dunkel geworden. Nur im Westen erinnerte ein blutrotes Glühen an den Tag.
    In den Büschen hinter der Einfahrt flammte ein Feuer auf. Zweige wurden zur Seite gebogen und Laub fiel sterbend zu Boden. Herbst­laub im September. Tessa stimmte einen schrillen, aber leisen Sing­sang an, der sich mit dem Surren in meinem Kopf zu einer wahn­haften Sinfonie steigerte. Ihre Finger bewegten sich lockend und ihr kleiner Adamsapfel hüpfte auf und ab.
    Nun bog er die letzten Äste zur Seite und zeigte sich ihr, aufrecht und erwartungsvoll. Die auflodernde Glut strahlte ihn von hinten an. Während er leichtfüßig und geschmeidig wie ein Raubtier auf Tessa zuschritt, riss er mit den Händen sein T-Shirt auf. Seine

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