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Splitterherz

Titel: Splitterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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aus­balancieren. Es blieb uns nichts anderes übrig, als ihn laufen zu las­sen. Hauptsache, weg von Tessa. Tessa, die sich nun auf Colins Fähr­te machte. Ich hatte nur Tillmann retten können. Nicht Colin.
    »Wenn du mal die Beine etwas locker lässt, hält er vielleicht auch an«, schrie Tillmann mir nach einem schier endlosen Ritt durch Wald und Feld ins Ohr. Ich hatte gar nicht registriert, wie fest ich Louis meine Fersen in die Flanken drückte - vor lauter Angst und Anspannung. Ich löste sie und augenblicklich fiel er vom Galopp in einen ungemütlichen Trab und dann in den Schritt.
    Ich nahm eine Hand aus seiner Mähne. Sie blutete, meine Finger spürte ich nicht mehr. Trotzdem griff ich nach vorne und angelte mir den Führstrick. Nach einem vorsichtigen Ziehen kam Louis zum Stehen. Mit tränenden Augen blickte ich mich um. Im Tal konnte ich unser Dorf erkennen. Es war nicht mehr weit bis nach Hause.
    Wir ließen uns von Louis’ verschwitztem Rücken fallen und lagen minutenlang nach Luft schnappend im Gras. Über uns schob sich der Mond zwischen zwei Wolken durch. Ich konnte ein schmales pechschwarzes Stück Himmel und blinkende Sterne erkennen. Ich schlüpfte aus meiner Strickjacke und gab sie Tillmann, damit er sich etwas überziehen konnte.
    »Warum hast du Colin verraten?«, fragte ich schließlich. »Ich mei­ne - wie konntest du wissen, dass sie ihn sucht?«
    Tillmann stützte den Kopf auf seinen Ellenbogen und sah mich an. Ich erschrak. Irgendetwas war zurückgeblieben. Er sah verändert aus. Es war in seinen Augen. Ein wenig hatte ihr Gift gewirkt.
    »Du wirst mich jetzt wahrscheinlich für völlig bescheuert erklä­ren«, sagte er zögernd. »Aber da war eine Stimme. Ich hab eine
    Stimme gehört. Und die hat mir befohlen, dass ich seinen Namen nennen soll und ihr sagen soll, dass er draußen im Wald ist. Also hab ich es getan.«
    »Willkommen im Klub«, stöhnte ich und leckte mir das salzige Blut von der Hand.
    »Du musst mir wirklich alles erzählen, Ellie«, bat Tillmann mich. In seinen Augen glomm die nackte Angst. »Ich hab das Gefühl, ich dreh durch.« Ja, dieses Gefühl kannte ich.
    »Nachher«, sagte ich abgekämpft und verdrängte den Gedanken daran, dass Tessa Colin möglicherweise schon erreicht hatte. Dass es jetzt losging. In dieser feuchten, wolkenverhangenen Nacht.
    Tillmann stand auf und holte ein paar kleinere Gegenstände aus seiner Hosentasche.
    »Was ist das?«, fragte ich müde, als er sich wieder neben mich setzte und sie ins Gras legte.
    »Die sind aus ihren Kleidern gefallen, als sie - als sie versucht hat ...« Er brach hilflos ab.
    Ich schaute sie mir an. Ein silberner Ring - ein Ohrring von Co­lin? -, ein Amulett mit keltischen Symbolen, ein paar angelaufene alte Münzen und sein Autoschlüssel. Es waren Gegenstände von Colin. Dieses raffgierige Biest.
    »Sie sind von ihm, oder?«, fragte Tillmann leise. Ich nickte nur. Die Tränen erstickten mich fast. Tessa musste sie gestohlen haben, als sie Colins Haus durchwühlte.
    »Ich weiß auch nicht, warum ich Zeit damit verschwendet habe, sie aufzulesen«, sagte Tillmann nachdenklich. »Sie hat mich fast ge­kriegt deshalb. Vielleicht war das auch ein Trick von ihr. Ich weiß es nicht. Jedenfalls konnte ich sie einstecken, bevor du mit Louis kamst. Möchtest du sie haben?«
    Er nahm sie und drückte sie mir in meine blutenden Hände.
    Zusammen trotteten wir hinunter ins Dorf und zu unserem Haus, wo ich Louis an einem Zaunpfosten im Garten festband und ihm einen Eimer mit Wasser füllte. Er trank in langen, tiefen Zügen.
    Ich setzte mich auf die Bank unter dem Garagendach und heulte. Tillmann hockte sich stumm neben mich und wartete, bis ich fertig war. Dann holte ich Luft, trocknete meine Tränen und erzählte ihm alles. Was Colin war, wie er es wurde und welche Rolle mein Vater in diesem Spiel einnahm. Er wurde blass um die Nase. »Mir ist grad richtig schlecht«, sagte er schließlich. Seine Hände zitterten.
    »Aber sie war so schön«, murmelte er vor sich hin. »Und ich war größer als sie. Für sie war ich ein Riese.«
    »Männer!«, rief ich entnervt. »Herr im Himmel. Was ist bloß mit euch los? Sie ist das abscheulichste Weib, das ich jemals gesehen habe. Sie kann sich nicht einmal ordentlich schminken! Und sie stinkt wie die Pest.«
    Tillmann schüttelte ungläubig den Kopf. »Ich hatte das Gefühl, dass sie mir alles geben kann, wovon ich träume. Und noch mehr. Dass sie mich glücklich macht. Ich war mir so

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