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Splitterherz

Titel: Splitterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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Haare richteten sich auf, um wie Flammen in den Himmel zu züngeln. Nun breitete auch er seine Arme aus und seine jungenhafte Brust streckte sich Tessa entgegen.
    Es war nicht Colin. Es war Tillmann. Tessa lockte Tillmann.
    »Oh nein ...«, flüsterte ich. »Du dummer, dummer Idiot. Du soll­test mir doch nicht mehr folgen.« Was war er für sic - ein Häpp­chen zwischendurch - oder das, was ich befürchtete: ein neuer Ge­fährte?
    Es lagen nur noch wenige Meter zwischen der grotesk tanzenden und singenden Tessa und Tillmann, dessen schmale Augen ihr sehnsüchtig entgegenblickten. Funken schienen in ihnen zu spielen, ja, es war, als würde sein ganzer Leib brennen. Nun zerriss er den Rest seines T-Shirts, sodass sein Oberkörper völlig nackt war.
    Wie hatte ich nur glauben können, dass er auf mich hörte? Ich hörte schließlich auch nicht auf Colin. Nur deshalb war ich hier. Wenn ich Tillmann alles erzählt und den Schwur an meinen Vater gebrochen hätte, dann wüsste er, mit wem er es zu tun hatte. So aber - so aber würde er ihr verfallen. Warum hatte ich nicht gesehen, wie einsam er war? Gab es denn gar nichts, was ihn im Diesseits hielt?
    Doch. Es gab mich.
    »Tillmann, nein!«, schrie ich und stellte mich zwischen ihn und
    Tessa. Ihren Geruch musste ich jetzt ertragen. Kotzen konnte ich nachher noch. Falls es ein Nachher gab.
    Tillmann nahm keine Notiz von mir. Das ist ein Albtraum, dachte ich verzweifelt. Tessa sieht mich nicht und Tillmann sieht mich auch nicht. Ich packte ihn an seinen schmalen Schultern und blickte ihm direkt in die Augen. Sie brannten für Tessa. Unwillig versuchte er, sich loszureißen.
    »Tillmann, nein! Sie ist böse. Sie will deine Seele, deine Träume, deine Sehnsüchte - alles. Geh nicht zu ihr. Bleib hier bei mir.«
    Ich schüttelte ihn, so heftig ich konnte. »Sieh mich an!«, brüllte ich und schlug ihm rechts und links ins Gesicht. Mit einem kurzen Blick zurück versicherte ich mich, dass Tessa mich immer noch nicht wahrnahm.
    Ein kaum spürbares Beben ging durch Tillmanns Körper.
    »Nein, Ellie. Siehst du nicht, wie schön sie ist? Dass sie mich liebt?«, sagte er mit weicher Stimme. Er lächelte sanft. Ich hatte ihn nie so lächeln sehen. Wo war sein rotzfreches Grinsen? Ich hasste dieses Lächeln. Es war nicht seines. Es war Tessas Werk.
    »Oh nein, das sehe ich nicht«, antwortete ich wütend. »Weil es nicht so ist.« Ich lehnte mich gegen ihn, damit er nicht weitergehen konnte. Gereizt schob er mich zur Seite. Jetzt brach auch Tessas Ge­sang kurz ab. Sie grunzte, ein Grunzen wie ein Schwein, das eine lästige Fliege abschütteln möchte. Erstarrt hielt ich inne. Doch schon erhob sie wieder ihre Stimme. Ich holte weit aus und ließ meine Faust auf sein Brustbein krachen. Mit einem schmerzvollen Keuchen sackte Tillmann in sich zusammen.
    »So, und nun hörst du mir zu«, zischte ich und packte ihn an der Kehle. »Sie ist böse. Wir müssen weg von hier. Tillmann, ich erzähle dir alles, wenn wir geflohen sind. Vertrau mir. Bitte.«
    Sein Blick wurde wacher. Aber auch sehr zornig.
    »Misch dich nicht in mein Leben ein, Ellie. Sie ist alles, was ich jemals wollte. Hier hält mich nichts. Es ist meine Entscheidung. Was willst du schon mit mir? Du hast mir verboten, dich zu sehen oder ...«
    »Pscht«, machte ich und hielt ihm den Mund zu. Er durfte keinesfalls Colins Namen aussprechen. Wieder knurrte Tessa und unter­brach ihren Balzgesang und diesmal zog sich ihre Pause über quä­lend lange Sekunden dahin. Sie begann mich wahrzunehmen. Ich hörte ihre Gewänder rascheln. Sie näherte sich.
    »Tillmann«, versuchte ich es ein letztes Mal, während ich ihn an den Haaren zog, ihn ins Gesicht schlug, ihm die Oberarme quetsch­te, um ihn wach zu halten. Es tat mir selbst weh, doch es musste sein. »Ich mag dich. Du bist mein einziger Freund hier und du bist wichtig für mich. Deine Karten waren wichtig für mich. Ich bin dir dankbar dafür. Bitte bleib hier. Bleib bei mir. Ich brauche dich. Verdammt, bleib hier. Ich brauche dich wirklich.« Ich log nicht. Ich spürte, dass es stimmte. Vielleicht brauchte ich ihn nicht jetzt, aber irgendwann würde ich ihn brauchen. Ein Schatten fiel über Till­manns Gesicht und die Funken in seinen Augen erloschen. Tessa stand hinter uns. Ihre spitzen Finger zupften rätselnd an meinen Haaren. Ihr Gesang war erstorben.
    »Lenk sie ab - und warte hier auf mich«, flüsterte ich Tillmann eindringlich zu. Ich musste darauf vertrauen, dass der

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